"Das Grenzland kann sein, was immer du willst."
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Geschichte[]
- Lux’ Talente als Anführerin und ihr Selbstbewusstsein werden auf die Probe gestellt, als die Gruppe im Schein des jährlichen Meteorschauers neue Sterne willkommen heißt.
Ich habe immer wieder denselben Traum.
Erst ist alles stockdunkel. Es ist so dunkel, dass ich nicht einmal sicher bin, ob meine Augen offen sind. Ich fühle mich, als hätte man mich während eines Stromausfalls aufgeweckt. Alle vertrauten Lichter erloschen und verschluckt. Nur ich und die Leere der Nacht.
Ich kann nicht anders. Ich greife in die Leere, in der Hoffnung, dass es wirklich nur ein Stromausfall ist und ich das Gewicht der Einsamkeit einfach von mir schieben kann wie zu viele schwere Decken. Aber die Finsternis gibt nicht nach.
Ich treibe mitten durch die Nacht, als wäre sie Wasser in einem Brunnen, während mir die Einsamkeit eiskalt den Rücken hinunterrinnt. Dann wird mir klar, dass es keine Oberfläche gibt. Meine Brust zieht sich zusammen. In mir steigt Panik auf und ich kann nur noch schwer atmen. Ich bin der Situation nicht gewachsen. Dann zieht etwas oder jemand den Stöpsel am Grund der Finsternis und ich sinke tiefer in die pechschwarze Dunkelheit. Ich öffne meinen Mund und will einen Schrei ausstoßen, doch er ist nicht zu hören.
Was hatte ich auch erwartet mit einem Mund voller Nichts? Mein Herz schlägt zu schnell. Als ich kurz davor bin, loszulassen und aufzugeben, fühle ich sie.
. . . . Ich spüre ihr Licht. Es ist, als hätten geballte Wärme, Freude, Trost und Gelächter Feuer gefangen.
Meine Augen sind offen. Vielleicht waren sie schon von Anfang an da, doch ich kann sie erst jetzt wirklich sehen. Ihre Gesichter sind so wunderschön, so friedlich. Sie schlafen, träumen vielleicht. Die Finsternis, die uns umgibt, scheint sie nicht zu stören. Ich strecke ihnen meine Arme entgegen, aber sie sind zu weit weg. In diesem Moment begreife ich, dass wir fallen.
Der Horizont einer großen, blauen Welt kommt immer näher. Ich kann weder erkennen, wohin wir gehen, noch die Gefahr ausmachen, die sich so schnell nähert. Es kümmert mich auch nicht. Ich sehe nur, wie meine Schwestern fallen. Die Atmosphäre des Planeten unter uns brennt heiß und ihre Lichter entzünden sich.
Meine Arme schmerzen bis in die Knochen. Ich versuche, sie aufzufangen. Ich versuche, sie festzuhalten, aber ich kann ihren Fall nicht aufhalten. Meine Kräfte reichen nicht aus, um uns zusammenzuhalten. Ich bin nicht stark genug für uns alle. Meine Fingerspitzen beginnen zu glühen und brechen auf. Zuletzt sehe ich, wie sich ihre Zeichen verdunkeln, während ihre Lichter in einem aschfahlen Regenbogen zerstieben.
Dann wache ich auf.
Ich bin in meinem Bett, die Decke schweißnass und verheddert. Die Finsternis ist verschwunden und einem gedämpften Grau gewichen. Ich habe es mir angewöhnt, mit offenem Fenster zu schlafen. Ich gehe hinüber und beobachte die Straße unter mir. Der weiche Schein der Lichter von draußen taucht mich und mein Zimmer in Schatten.
Über der schlafenden Stille liegt Finsternis. Ich kann sie immer noch spüren, wie sie sich weiter ausbreitet. In der Stadt kann man die Sterne am Himmel nur schwer erkennen. Nur einige wenige Lichtpunkte sind zu sehen. Aber ich weiß, dass da draußen noch mehr sind. Irgendwo.
Ich krieche zurück ins Bett und warte auf den Tagesanbruch. Ich schlafe aber nicht ein. Ich kann nicht. Der Traum ist derselbe.
Immer derselbe.
„Willst du nicht reinkommen?“
Jinx liegt im Garten auf einer Liege, Shiro und Kuro halten im Gras zu ihren Füßen ein Nickerchen. Ich kann nicht sagen, ob sie mich gehört hat. Eine unnatürlich große Sonnenbrille verdeckt ihre Augen und den Großteil ihrer Brauen. Ein Ohrhörer steckt in ihrem linken Ohr, der andere hängt über die Seite der Liege.
Sie hat mich auf jeden Fall gehört.
„Hey, kommst du? Wir wollen anfangen.“
Jinx stopft einen Batzen fluoreszierenden Kaugummi in ihren Mund, kaut lautstark und lässt die Blasen mit ihren Zähnen zerplatzen. Dann macht sie ganz langsam eine riesige, rosa Blase. Als die Blase so groß ist, dass sie ihre Sonnenbrille verdeckt, saugt sie sie mit einem lauten Knall wieder ein.
„Wir haben nicht ewig Sommer, Lux“, sagt sie, ohne zu mir herüberzusehen. Sie verschränkt ihre Hände hinter ihrem Kopf. Vorbeiziehende Wolkenfetzen spiegeln sich auf ihrer Sonnenbrille. „Wir müssen ordentlich Sonne tanken, bevor er vorbei ist.“
Sie zwirbelt das Ende ihres langen, roten Zopfes um ihren Finger und fordert mich damit heraus, ihr etwas Spannenderes anzubieten, damit sie hereinkommt.
„Du hast Recht“, sage ich. Sie liebt es, wenn sie Recht bekommt. „Der Sommer ist fast vorbei. Ich glaube nur, dass wir über ein paar Dinge reden sollten. Bevor die Schule wieder anfängt.“
Jinx schnaubt abfällig.
Ich hätte die Schule lieber nicht erwähnen sollen. Jetzt habe ich sie verloren.
„Na gut“, sage ich und versuche eine andere Taktik. „Ich nehme an, du willst dann auch kein Eis? Poppy hat welches mitgebracht.“
Jinx richtet sich auf und platziert ihre Beine links und rechts der Liege. Kuro schreckt auf, gähnt und dreht den noch im Gras schlafenden Shiro spielerisch um. Jinx schiebt ihre gewaltige Sonnenbrille hoch auf die Stirn. Jetzt sieht es so aus, als würden ihr riesige Plastiksterne aus den Zöpfen schießen.
„Eis?“
„Jepp“, sage ich, als ich wieder ins Haus gehe. „Eisraketen.“ Ich ziehe die Glastür hinter mir zu und gehe in die Küche. Fünf Sekunden später höre ich, wie sich die Tür öffnet und schließt.
Den Sternen sei Dank. So launisch sie auch ist, sie ist unglaublich vorhersehbar, wenn es um Süßigkeiten geht. Und Munition.
Die Ruhe ist nur vorübergehend. Als ich in die Küche komme, steht Poppy auf einem Stuhl vor dem Herd und dreht Pfannkuchen in einer Pfanne um. Dabei kann man ihr die Zielstrebigkeit und Konzentration an ihren gebeugten Ellbogen und dem eisernen Griff ansehen, mit dem sie den großen Pfannenwender hält. Von ihr führt eine Spur aus Teig und klebrigem Sirup zum Kühlschrank und zur Küchentheke.
„Ähm, Poppy, was ist denn hier los? Ich war doch nur fünf Minuten weg“, sage ich, als mir Jinx auf dem Weg zum Gefrierfach den Ellbogen in die Seite rammt.
„Lulu hatte Hunger“, sagt Poppy über ihre Schulter hinweg. Sie zuckt mit den Achseln und konzentriert sich wieder auf den Teig vor ihr. „Ich habe Pfannkuchen gemacht.“
Lulu sitzt am Küchentisch und malt mit der einen Hand ganz eifrig, während sie mit der anderen einen großen Bissen Pfannkuchen aufspießt. Dabei ist sie völlig unbeeindruckt von dem kulinarischen Drama, das sich um sie herum abspielt. Pix knabbert derweil an einem grünen Filzstift. Lulu streichelt den Kopf ihres Vertrauten, ohne von ihrer Arbeit aufzusehen.
„Klingt gut, Mini.“ Jinx gibt Poppy einen Klaps auf die Schulter und schlittert dann zu einem der Stühle, während sie genüsslich an einer Eisrakete lutscht. „Kannst du mir einen in Sternenform machen? Oder nein, in Raketenform? Oh, ich weiß, wie wär‘s mit einer Sternenrakete? Mit Regenbogenstreuseln!“
„Oh, sieh mal an, wer uns da mit ihrer Anwesenheit beehrt“, murmelt Poppy in Richtung Pfanne.
Chaos. Völliges Chaos. Pfannkuchenteig klebt an der Decke. Wie sollen wir das Universum retten, wenn wir nicht mal alleine klarkommen? Janna wäscht still den Berg Geschirr ab, den Poppy hinterlassen hat. Sie steht vor der Spüle und starrt aus dem Fenster. Zephir sitzt auf der Küchentheke neben ihr und versucht, sich den Sirup von den Pfoten zu lecken.
„Also …“ Ich laufe in der vollgestellten Küche hin und her. „Wir sollten uns über das nächste Jahr unterhalten. Die Schule fängt bald wieder an und …“
„Hey, was malst du da, Lolly?“ Jinx lehnt sich über Lulus Schulter und stibitzt mit der Gabel einen Bissen Pfannkuchen. Sie sträubt sich so sehr, einen Gedanken an die Zukunft zu verschwenden, dass sie sogar Interesse an Lulu vortäuscht, um dem Gespräch auszuweichen. Ich versuche, meinen Seufzer für mich zu behalten.
Ich fange noch mal von vorne an. „Wie ich schon sagte, wir …“
„Den Sternenregen“, unterbricht mich Lulu, völlig unbeeindruckt davon, dass ich gerade rede. „Die neuen Sterne kommen.“ Ohne aufzusehen, schiebt sie ein Flugblatt über den Tisch zu Jinx. Ein Klecks Schlagsahne mit Streuseln tropft von Jinx‘ Pfannkuchenstück aufs Papier, als sie es mustert. Sie grinst und lässt es auf dem Tisch liegen. Das Flugblatt hat mehr als zehn Wörter und nur ein Bild. Kein Wunder also, dass Jinx das Interesse verloren hat.
Ich bleibe hinter Lulu stehen und sehe mir zum ersten Mal an, was unsere kleine Künstlerin gemalt hat. Es ist ein Feld mit einigen Bäumen am Rand. Wir fünf stehen auf dem Feld und schauen in den Nachthimmel. Janna ist die große Violette, Poppy hat ihren Hammer, und Jinx ist leicht an ihren roten Zöpfen zu erkennen. Ich muss dann wohl die rundliche Rosafarbene sein. Stehen mir die Haare wirklich so von den Seiten ab?
„Bist du das?“, frage ich und zeige auf die Grünhaarige auf der Wiese zwischen den schwarzgrünen Glühwürmchen. Lulu nickt und beißt sich in ihre Arbeit versunken auf die Lippe, während sie den Nachthimmel dunkelblau schattiert. Zwischen den Sternen sind noch mehr Farben zu sehen.
„Was ist mit denen?“, fragt Jinx und zeigt auf die bunten Flecken.
„Neue Sterne, natürlich“, sagt sie und verdreht die Augen. Lulu sieht zu mir hoch. „Können wir dorthin gehen?“
„Es gibt hier keine neuen Sterne“, sagt Poppy und wendet einen weiteren Pfannkuchen.
Lautes Geklapper ist von der Spüle zu hören, als Janna ein Teller hineinrutscht. „Entschuldigung“, stammelt sie, als sie ihn schließlich zu fassen bekommt.
Ich gehe zu ihr hinüber und stelle mich neben sie. Durch das Küchenfenster sehe ich, dass die zarten Wölkchen verschwunden sind und der Sommerhimmel groß und leer ist. In der Spüle zieht Janna mit einem nassen Schwamm Bahnen über den Teller.
„Gut gefangen“, sage ich und gebe Janna ein Handtuch von der Theke. „Die Glitschigen sind so schwer zu fassen.“
Janna sieht mich an und dann auf den Teller, den sie gerade abwäscht. Ihre Wangen laufen rosa an und bilden einen starken Gegensatz zu ihrem sonst so gefassten Auftreten. Irgendetwas stimmt nicht.
Sie nickt und stellt den extra sauberen Teller in das Abtropfgestell. Sie klemmt sich eine lavendelfarbene Haarsträhne hinters Ohr und nimmt einen weiteren von Sirup verklebten Teller von dem Stapel auf der Küchentheke.
Ja, irgendetwas liegt in der Luft.
Jinx bekommt wie immer nichts mit, ertränkt ihre Pfannkuchen weiter in Sirup und schichtet sie abwechselnd mit Schlagsahne und Streuseln aufeinander.
„Du weißt, wie sehr ich es hasse, unserem blauhaarigen Türstopper zuzustimmen“, sagt Jinx und steckt sich eine volle Gabel in den Mund. „Aber wir müssen allein gegen all die bösen großen Monster kämpfen, die sich in dieser Galaxie herumtreiben, Lolly.“
Lulu legt ihren Stift beiseite, nimmt das Flugblatt und reicht es mir. Ich nehme es und wische den schmelzenden Klecks Schlagsahne mit Streuseln mit einem Küchentuch weg, was eine feuchte Regenbogenspur auf dem Papier hinterlässt.
„Sommerlicher Sternenregen im Targon-Zeltlager. Beobachtet den sommerlichen Meteorschauer. Raus aus der Stadt und neue Sterne kennenlernen. Spiele und Unterhaltung. Letzte Gelegenheit für Sommerspaß“, lese ich laut vor. „Das wird vom Astronomiekurs der Universität veranstaltet und alle Schüler der örtlichen Schulen dürfen mitmachen.“
Ich sehe auf. Niemand hört mir zu. Lulu malt weiter. Poppy und Jinx stapeln immer mehr Pfannkuchen auf ihre Teller, um zu sehen, wer am meisten essen kann. Ich sehe, wie sich Jannas Gesicht im Fenster widerspiegelt. Sie hat sich wieder im Himmel verloren.
Das Papier raschelt in meiner Hand. Ich entspanne meine Hand. Es ist mir ein bisschen peinlich, dass ich das Papier fast zerknüllt habe. Die Frist zur Anmeldung für das Zeltlager endet heute.
„Letzte Gelegenheit“, murmle ich vor mich hin. Ich sehe die Mädchen an, doch alle sind sie mit etwas anderem beschäftigt. Das wird ihnen nicht gefallen. Aber ich bin die Chefin. Es wird ihnen gut tun. „Das wird uns gut tun“, flüstere ich und rede mir weiter ein, dass das eine gute Entscheidung ist.
„Packt eure Taschen, meine Damen“, sage ich laut mit einem großen, gezwungenen Lächeln auf meinem Gesicht. Mit meinem überschäumenden Selbstvertrauen versuche ich nicht nur ihnen etwas vorzumachen, sondern auch mir selbst. Alle sehen auf, unsicher, was gleich passieren wird.
Ich hole mein Handy aus der Tasche und wähle die Nummer auf dem Flugblatt. „Wir werden ein paar neue Sterne willkommen heißen.“
Jinx setzt sich einen Sonnenhut auf, als sie aus dem Bus schlendert. Sie hatte darauf bestanden, auf der Fahrt ihren Badeanzug zu tragen. Die ungemein schrillen Farben ihres Bikinis werden nur durch ein durchsichtiges Tuch abgeschwächt, das hinter ihr im Wind flattert.
„Ok, ihr Streberinnen“, seufzt sie. „Ich werde mich auf die Suche nach dem Pool machen. Zeit für ein paar Bomben.“
„Es ist ein See“, korrigiert sie Poppy, während sie den Busfahrer nicht aus den Augen lässt, als er unser Gepäck auf einem Flecken Gras abstellt.
„Wie auch immer, Zwerg.“ Jinx schnappt sich eine Stofftasche mit Graffitimuster und handgemalten Sternen sowie übergroßen Pistolen vom Gepäckstapel. Als sie an Lulu vorbeigeht, zieht sie an der blaugrünen Schmetterlingsschleife in ihren Haaren. „Bis später, Lolly.“
Ich sehe Poppy an.
„Sie hat nicht wirklich Bomben dabei, oder?“
Poppy zuckt mit den Achseln. „Glaubst du wirklich, sie hätte ihren Mund gehalten, wenn sie welche dabei hätte?“
Ich will Jinx gerade zurufen und darauf bestehen, dass sie bei der Gruppe bleibt, doch ich höre ein Stöhnen hinter mir. Ich sehe zu, wie der Busfahrer die letzte Tasche hervorzieht. Seine Arme zittern vor Anstrengung. Die blaue Reisetasche ist fast so groß wie Poppy. Sie beobachtet ihn genau, wobei ihr Fuß ungeduldig auf das trockene Gras klopft.
Er legt die Tasche mit einem kleinen Grunzen ab. „Was hast du denn da drin, Kleine? Steine?“
„Nee.“ Poppy nimmt ihre Tasche bei den Griffen und schwingt sie sich mit Leichtigkeit über die Schulter. Dann grinst sie den Busfahrer breit und zufrieden an. „Einen Hammer.“
Poppy schenkt mir das gleiche Grinsen. Ich erinnere mich noch an die Vorgaben, die ich gemacht habe: Wir sind hier, um uns unters Volk zu mischen und Spaß zu haben. Verhaltet euch ganz normal. Sie packt den Griff von Jinx‘ vergessenem Trolley und stupst Lulu leicht an.
„Komm schon, Lulu. Unsere Zelte bauen sich nicht von alleine auf“, sagt sie vergnügt.
Lulu nickt und summt auf dem Weg ein Lied, dessen Melodie nur sie allein kennt. Sie schwirrt von Wildblume zu Tannenzapfen zu Kieselstein und bestaunt all die kleinen Schätze, die überall im Lager verstreut liegen, während Poppy weiterhin pflichtbewusst den Weg entlanggeht.
Der Bus startet den Motor und fährt wieder auf die Straße. Ich beobachte ihn, bis er hinter Felsen und Bäumen verschwindet.
„Jetzt gibt es kein Zurück mehr, was Janna?“ Alles, was ich hören kann, ist eine leichte Brise, die durch die Tannen weht. Ich drehe mich langsam um. Die letzten Nachzügler aus dem Bus sind bereits auf halbem Weg zum Zeltlager. An der Haltestelle ist niemand zu sehen. „Janna?“
Schließlich finde ich Janna, wie sie auf einem abgerundeten Granitbrocken steht, der tief in der Erde versunken ist. Sie steht mit dem Rücken zu mir. Ihre Hände sind um ihre Arme geschlungen und die Locken ihres lavendelfarbenen Haares tanzen im kaum merklichen Wind.
„Janna?“
Ich lasse meinen Rucksack auf einem Grasbüschel zurück und klettere zu ihr hinauf. Im kleinen Tal unter uns sehe ich, wie sich andere Zelter und Gruppen tummeln, die ihr Lager aufschlagen. Zwischen den Bäumen kann man die glitzernde Oberfläche des Lunarisees erkennen. Ich wette, dass sich Jinx bereits in sein kühles Nass gestürzt hat. Ich frage mich, ob sie weiß, dass er von Schmelzwasser gespeist wird, und muss grinsen.
Doch Janna bemerkt von alledem nichts. Sie ist so groß. Ich schirme meine Augen vor der Sonne ab, sehe einige Minuten hoch und versuche angestrengt auszumachen, wo sie hinsieht. Der Himmel ist wieder stechend blau und bis auf die felsige Bergwand des Targon und ein paar weiße Wolken ungetrübt. Mein Ellbogen streift ihren Arm, als ich mein Gewicht verlagere.
Janna sieht mich völlig überrascht an.
„Oh. Hi!“, sagt sie, als hätte ich die letzten fünf Minuten nicht neben ihr gestanden. Sie lächelt, aber ich spüre, dass sie sich immer noch Sorgen um etwas macht. Sie sieht zur Bushaltestelle hinüber.
„Wo sind alle hin?“
„Wow.“ Ich schüttele den Kopf. „Du bist wirklich woanders, was?“ Ich schaue hinter mich auf den violettgrauen Umriss des Targon, der von dunklen Tannen umsäumt ist. Obwohl bereits Hochsommer ist, liegt immer noch Schnee auf der Spitze des Berges.
Janna streicht mit den Händen über ihre unbedeckten Schultern und atmet heftig ein, als würde sie plötzlich frösteln. Es ist aber kein bisschen kalt. Der Himmel ist so klar und die Sonne scheint so heiß, dass ich mir wünsche, ich hätte doch auf Jinx gehört und auch Badeanzug und kurze Hosen angezogen. Ich fächle mir mit der Zeltlageranmeldung etwas Luft zu.
„Wir sollten gehen“, sagt Janna. Dann steigt sie mit ihren langen Beinen mühelos und federnd von dem Felsen. Sie schaut zurück, während ich mir einen Weg herunter bahne. Ihr Lächeln verblasst, als sie zum Himmel blickt. „Ein Sturm zieht auf.”
„Was?” Ich sehe zum Himmel auf und rutsche dabei auf einer Stelle mit losen Kieseln auf dem glatten Felsen aus. Wie immer, zu viel auf einmal. Ich lande auf meinem Hintern, wirbele eine Staubwolke auf und die Rückseite meines Beins schrammt gegen den Felsen.
„Au.“ Bei dem stechenden Schmerz zucke ich zusammen. Das läuft ja alles prächtig. Lulu, Poppy und Jinx sind irgendwo im Zeltlager verstreut. Janna könnte genauso gut auf einem anderen Planeten sein. Und nun schießt sich ihre kühne Anführerin mit ihren zwei linken Füßen selbst ins Aus.
„Fantastisch“, murmle ich und wische mir mit der Hand über die Stirn.
Eine kühle Brise streift meine feuchten Haare am Hinterkopf. Ich sehe zu Janna auf, die mir ihre heilende Hand hinstreckt.
„Nein“, sage ich. Ich ringe mir ein Lächeln ab. „Geht schon. Wir wollen hier doch keine Kräfte einsetzen.“
Janna zuckt mit den Achseln. „Dann sei lieber vorsichtig, wir haben nur eine Anführerin“, sagt sie. Sie sieht mich an und ich bin mir sicher, dass sie die ganzen Zweifel hören kann, die in meinem Kopf umherschwirren. Als ich aufstehe, wendet sie sich dem Pfad zu.
„Wir sollten uns beeilen“, ruft sie über die Schulter. „Ohne dich wären wir alle verloren.“
Ich lasse die Luft entweichen, die ich angehalten habe. Genau davor habe ich Angst.
Die Informationstafel des Zeltlagers ist in dunkelvioletten Stoff gehüllt. Steine und große Tannenzapfen dienen als Beschwerer für verschiedene Flugblätter. Hinter dem Tisch sitzt ein Mädchen mit langen schwarzen Haaren. Nein, kein Mädchen. Sie sieht zu alt für eine Schülerin aus und viel zu cool, um an einem staubigen Tisch in einem Sommerlager zu sitzen. Sie muss eine der Veranstalterinnen aus dem Astronomiekurs der Uni sein. Ich höre, wie Janna hinter mir stehen bleibt, als ich auf das „Mädchen“ zugehe. Ich fasse das als nicht ganz so subtilen Hinweis auf, dass ich auf mich allein gestellt bin.
Ich gehe zum Tisch hinüber. Die großen Tannen und die tiefstehende Nachmittagssonne arbeiten perfekt zusammen, so dass ich, egal wo ich stehe, immer einen Lichtstrahl im Auge habe. Der Kontrast zwischen Hell und Dunkel macht es unmöglich, die Person hinter dem Tisch zu erkennen. Sie versucht nicht, aus den Schatten zu treten, sondern beobachtet amüsiert, wie ich versuche, eine gute Stelle zu finden.
„Hi!“, sage ich und strecke meine Hand ungefähr in die Richtung aus, wo ich sie vermute.
„Name.“
Nicht gerade die freundlichste Begrüßung. Außerdem einen kleinen Schritt weiter links, als ich vermutet hatte. „Lux“, antworte ich etwas verlegen. „Luxanna. Meine Gruppe heißt …“
„Hmmm … ‚Die Sternenschwestern‘“, unterbricht mich das Mädchen. In ihrer Stimme schwingt spöttische Abneigung mit. „Das ist so ein … süßer Name. Ihr beiden seid die letzten Ankömmlinge. Die Anführer kommen normalerweise als Erstes.“ Sie seufzt wie zur Betonung genervt.
Sonne und Planet stehen nun etwas günstiger, so dass ich endlich einen Flecken Schatten erwische und einen Blick auf unsere Hochschulrichterin werfen kann. Wenn ich sie mir so aus der Nähe anschaue, bevorzuge ich wohl doch eher die Audioversion. Sie schürzt ihre Lippen, als hätte sie eben etwas Widerliches gegessen, aber anstandshalber noch nicht ausgespuckt. Auf dem Namensschild an dem Band um ihren Hals steht fein säuberlich geschrieben: Syndra.
„Tut mir leid“, setze ich erneut an und versuche, selbstbewusster zu klingen. Ich hätte allen sagen sollen, dass wir zusammenbleiben sollten. „Ich habe nur gewartet, um sicherzustellen, dass alle unsere Taschen aus dem Bus geladen werden. Die anderen waren so gespannt darauf, das Lager zu sehen.“
Ich spüre Jannas Hand an meinem Arm. Sie leistet moralische Unterstützung. Ich sehe zu ihr hinüber. Ihr normalerweise gefasstes Gesicht verzieht sich, als sie das Mädchen hinter dem Tisch ansieht. Ich schaue zwischen den beiden hin und her, bevor ich mich wieder dem Gespräch zuwende.
„Nun, jetzt sind wir ja alle hier“, sagt Janna knapp.
„Wunderbar“, sagt Syndra sarkastisch. „Platz 20-16. Einige aus eurer Gruppe sind bereits dort. Das laute Mädel ist schon unten am See. Ich nehme mal an, sie gehört auch zu euch.“
Jinx. Fantastisch.
Syndra nimmt einige der bunten Flugblätter. Sie hält inne und sieht mich an, da ich noch nicht bestätigt habe, dass Jinx zu mir gehört.
„Du solltest dich vielleicht … um sie kümmern“, sagt sie. „Hier habt ihr eine Karte und einen Ablaufplan. Den besten Blick auf den Meteorschauer hat man nach Mitternacht.“
Syndra drückt mir den Stapel Papier in die Hand und mustert mich mit leicht zusammengekniffenen Augen, um ein endgültiges Urteil über mich zu fällen. Offenbar erfülle ich ihre Erwartungen nicht. „Du bist dir bewusst, dass Anführer dafür verantwortlich sind, ihre Gruppe ab Einbruch der Dunkelheit zusammenzuhalten, oder?“
„Ja“, piepse ich. Ich nicke mit einem Frosch in meinem Hals und fühle mich wie ein Kind. Ich räuspere mich in der Hoffnung, meine Stimme wiederzufinden. „Ich verspreche, alle zusammenzuhalten.“
Wie auf ein Stichwort kommt plötzlich eine vierköpfige Gruppe einen der Pfade entlanggewandert. Die Götter der Coolness sind gerade in das Sommerlager herabgestiegen. Hinter ihnen versammeln sich kleine Grüppchen unverhohlener Bewunderer. Was kaum verwunderlich ist, denn ich kann selbst meinen Blick kaum abwenden.
„Das ist eine Gruppe, von der du noch was lernen kannst“, sagt Syndra demonstrativ. Ich sehe, wie sich ihr abfälliges Grinsen in ein Lächeln verwandelt. „Ahri!“, quietscht sie.
Der Star in der Mitte der Gruppe sieht auf. Sie wischt sich den perfekten schrägen, pfirsichfarbenen Pony aus den Augen und lächelt zurück. Eine große Rothaarige, ein stilles Mädchen mit minzfarbenen Locken und ein ziemlich süßer Typ mit blonden Haaren flankieren die überaus populäre Anführerin. Natürlich kommt die Gruppe geradewegs auf uns zu, mit immer mehr Anhängern im Schlepptau. Jedes Mitglied strahlt nicht nur individuelle Superstarqualitäten aus, sie bewegen sich auch fast synchron. Ich kann nicht anders. Ich bin so neidisch, dass meine Zähne knirschen.
„Syndra“, sagt Ahri. „Bist du fertig? Du hast uns heute Nachmittag auf der Wanderung gefehlt.“
„Ich musste noch auf die Nachzügler warten“, sagt Syndra mit einem Blick in meine Richtung.
„Ja“, sage ich. „Tut uns leid.“ Ich drehe mich lächelnd zu Ahri und strecke ihr meine Hand entgegen. „Hi. Ich bin Lux. Und du musst …“
„Cool!“, sagt sie und beendet damit das Gespräch, bevor es überhaupt begonnen hat. Sie betrachtet die ausgestreckte Hand vor ihr extra lange, damit die peinliche Situation auch wirklich niemandem entgeht. Schließlich streckt sie mir ihre perfekt manikürten Finger entgegen und vollführt einen halbherzigen Handschlag. „Wie nett.“
Ahri wendet sich Syndra zu und beendet so letzten Endes das Gespräch mit mir.
„Okay“, sage ich etwas zu laut. „Freut mich auch, dich kennenzulernen.“
Eine Brise bläst durch das Lager, ich drehe mich schlagartig um und gehe blind in irgendeine Richtung, Hauptsache weg von diesem Informationstisch.
Natürlich laufe ich direkt in Janna hinein. Der Papierstapel fliegt durch die Gegend. Gut, dass ich immer alles unter Kontrolle habe. Schon wieder sitze ich auf dem Boden im staubigen Gras und schaue zu Janna auf. Diesmal besänftigt der Ausdruck auf Jannas Gesicht meinen Ärger allerdings.
Ihre Grimasse von vorhin ist einem finsteren Blick gewichen. Die leichte Brise wird zu einer stärkeren Böe.
„Ich brauche ein paar Minuten für mich“, sagt Janna. Sie fragt nicht. Sie schaut noch nicht einmal in meine Richtung. Das ist merkwürdig. Ich habe Janna noch nie so … wütend gesehen.
„Aber Janna“, sage ich und versuche die umherfliegenden Papiere zu fangen, während ich mich gleichzeitig bemühe, mein windzerzaustes Haar aus dem Mund zu bekommen. „Sie haben uns doch eben gesagt, dass wir zusammenbleiben sollen.“
Es ist zu spät. Janna geht einen schattigen Pfad entlang und der Wind folgt ihr. Hinter mir, über den abflauenden Wind hinweg, höre ich Syndras Gelächter. Ich hoffe, dass sie über eine clevere Bemerkung von Ahri lacht. Ich wage einen Blick hinter mich und sehe, wie Syndra mich direkt anschaut. Und lächelt.
Ich drehe mich weg und konzentriere mich darauf, die bunten Flugblätter wieder einzusammeln, und stehle mich dabei so weit wie möglich fort vom Club der Obercoolen.
Ich finde das letzte Flugblatt in einem ausgehöhlten Baum. Anstatt mich nach dem Blatt zu bücken, lasse ich mich auf einen Haufen Tannennadeln sinken und lehne mich an den Baum. Vor mir liegt der See. Aber jetzt wird mir klar, dass ich überhaupt nicht weiß, wo ich bin.
Ich drücke meinen Rücken gegen die kratzige Borke. Dieser Ausflug läuft überhaupt nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Wir sind nicht einmal alle zusammen, wie sollen wir dann als Team zusammenarbeiten?
Meine Wangen sind ganz heiß. Mir schnürt sich die Kehle zu. Das glitzernde Licht auf dem See vor mir verschwimmt ein wenig. Ich spüre, wie mir die Tränen in die Augen steigen.
Ich blättere durch den Papierstapel, um mich von meiner plötzlichen Selbstmitleidsorgie abzulenken.
„Und nicht einmal eine blöde Karte.“ Ich mache meiner Frustration Luft und stöhne laut auf. „Wie soll ich eine Anführerin sein, wenn ich nicht mal weiß, wohin ich gehe?“
„Pff. Karten sind überbewertet.“ Die Stimme eines Jungen durchbricht die Hintergrundgeräusche der entfernten Zelter. Ich sehe auf. Na ganz toll. Es ist der süße, blonde Typ aus Ahris glänzender Gefolgschaft. Ich springe auf und wische mir mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.
„Aber wenn du wirklich eine brauchen solltest, habe ich zufällig diese hier.“ Er streckt mir eine leicht vom Wind zerknitterte Karte entgegen. Der Zeltplatz meiner Gruppe ist darauf eingekreist und in Syndras perfekter Handschrift nummeriert. Sein Grinsen ist ein bisschen schief geraten. „Ich habe ein Händchen dafür, zu finden, was verloren gegangen ist. Ich bin Ezreal. Du kannst mich Ez nennen.“
Ich nicke und versuche dabei, mein Schniefen zu unterdrücken. Er lächelt immer noch. Flirtet er mit mir? Ich schaue mich um. Er holt ein Taschentuch aus seiner Tasche und gibt es mir.
„Danke“, murmele ich verlegen. Sogar im Schatten der Tannen leuchten seine Augen unglaublich blau.
„Vielleicht könntest du mir helfen, meine Gruppe zu finden.“ Ich zeige auf die Bäume, die uns umgeben. In dieser Ecke des Lagers ist niemand außer wir beide. „Anscheinend haben sich alle außer dir und mir verirrt.“
„Perfekt.“ Er wischt sich eine Locke seines blonden Haars aus den Augen und zeigt mit einer vornehmen Verbeugung auf den Pfad. „Du bist Lux, richtig? Wie das Licht?“
„Ja“, ich nicke. Wenn er nur wüsste. „Meine Mutter hatte eine Schwäche für Tischlampen.“ Ich spüre, wie mein überschäumendes Selbstvertrauen zurückkehrt, von dem Jinx immer so genervt ist. Ich sehe hinüber und kann erkennen, wie sein arrogantes Lächeln kurz unsicher wird. Er weiß nicht, ob ich ihn nur aufziehen will. Jetzt bin ich an der Reihe, zu lächeln. Lächle ich zu viel?
„War nur’n Witz“, beschwichtige ich.
„Klar, Lampen sind cool“, sagt er erleichtert. „Aber nicht ganz mein Lieblingslicht.“
„Du hast ein Lieblingslicht?“
„Komm schon, hat das nicht jeder?“ Sein freches Grinsen ist zurück. Der kleine Weg, dem wir gefolgt sind, läuft gleich mit dem großen Pfad zusammen, der vom See zum Hauptlager führt.
„Verrätst du es mir noch oder muss ich raten?“ Es ist albern, aber ich habe schon total vergessen, wie erbärmlich ich mich noch vor ein paar Minuten gefühlt hatte. Zum ersten Mal, seit ich in diesem Lager bin, mache ich mir mal keine Sorgen um irgendetwas, nicht einmal darum, dass ich über meine eigenen Füße stolpern könnte.
Genau in diesem Moment taucht Jinx mit einem verschmitzten Grinsen im Gesicht und nassen Haaren auf. Ihr Lächeln wird breiter, als Ezreal aus den Schatten und auf den Pfad tritt.
„Hey Lux, altes Haus. Ist das dein neuer Freund?“ Jinx haut mir kumpelhaft auf die Schulter und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich verschlucke mich fast an meiner Zunge, als ich versuche, ihr zu antworten.
„Jinx, das ist Ez“, huste ich und versuche durchzuatmen. „Ez, das ist Jinx.”
Ezreal streckt Jinx eine Hand hin. Jinx nimmt die Herausforderung an und drückt mit aller Kraft zu. Dabei schüttelt sie seine Hand auf und ab wie bei einer Art umgedrehtem Armdrücken. Zu Jinx‘ eigener Überraschung geht Ez mit diesem merkwürdigen Handschlag locker um.
Sie zieht ihn näher zu sich heran. „Was genau sind deine Absichten mit unserer Lux, wenn ich fragen darf?“, sagt sie in einem drohenden Flüsterton, den alle hören können.
Mein Gesicht wird noch rosafarbener als meine Haare.
„N-Nun …“, stammelt Ez. „Wir haben nur über unser Lieblingslicht gesprochen. H-Hast du auch eines?“
Gut gerettet, Ez. Jinx kann man am besten ablenken, indem man sie über sich selbst sprechen lässt.
„Oh, das ist einfach“, sagt Jinx. Sie lockert ihren Griff und lässt Ezreals Hand los. Ez ballt seine Hand zur Faust und entspannt sie wieder, um zu überprüfen, ob alle Finger noch funktionieren.
„Wirklich?“, höre ich mich überrascht sagen. „Du hast ein Lieblingslicht?“
Jinx wendet sich mir zu. „Aber klar doch. Hat das nicht jeder?“
Ezreal zuckt mit den Achseln. Sein freches Grinsen ist zurück.
„Ezreal, ist alles okay?“, fragt eine lässige Stimme. Was wollen denn auf einmal alle hier? Die große Rothaarige, der zweite Star in Ahris Club der Reichen und Schönen, nähert sich vom Hauptpfad aus. Sie sieht nicht sehr erfreut aus, uns zu sehen. Vor allem Jinx.
„Alles in Ordnung, Sarah“, sagt Ezreal und versucht, die offensichtliche Verachtung der Rothaarigen etwas abzumildern.
„Hi. Ich bin Lux“, ich klopfe mir an meiner Hose den Staub von der Hand und strecke sie ihr zur Begrüßung hin. Ihre Augen verengen sich und ich fühle mich plötzlich, als läge ich unter einem Seziermikroskop. Und wenn ich nervös werde, kann ich natürlich nicht aufhören, zu reden. Die Wörter sprudeln nur so aus mir heraus, als hätte jemand den Hahn nicht abgestellt. „Es, ähm, es ist schön, dich kennenzulernen, Sarah. Deine Haare sind megacool! Mir steht Rot ja nicht, aber dir … wow.“
„Miss Fortune“, unterbricht sie mich. „Sarah nennen mich nur meine Freunde.“ Dem Ausdruck auf ihrem Gesicht nach zu urteilen, falle ich nicht in letztere Kategorie.
„Oh, natürlich. Ich bin Lux. Hab ich das schon gesagt? Ich wollte nur den Imbiss für die Gruppe holen und habe mich dabei verlaufen“, sage ich, während ich in den Flugblättern in meinen Händen nach den Details suche. Ich weiß, dass ich sie erst vor ein paar Minuten gesehen habe. „Genau, der Imbiss, hier drüben im Essenszelt. Das dürften Schokokekse und … und … Orangen sein.“
„Ich hasse Orangen“, wirft Miss Fortune kühl ein. Sie sieht Ezreal an. „Ahri möchte, dass wir die Gegend bis zum Einbruch der Dunkelheit abgehen.“
Ezreal salutiert sarkastisch vor ihr. „Zu Befehl, Kapitän.“
Miss Fortune verdreht die Augen und geht zurück zum Lager. Jinx zieht mich in die entgegengesetzte Richtung.
„Wir sehen uns später, Lux“, sagt Ezreal und rennt ihr hinterher.
Ich kann nicht anders. Ich rufe ihm nach. „Du hast mir nicht gesagt, welches Licht dir am besten gefällt!“
Er hält inne, schüttelt sich die Haare aus den Augen und führt die Hände zusammen.
„Sternenlicht“, ruft er zurück. Selbst aus der Entfernung kann ich sein schiefes Grinsen sehen. Er dreht sich um und schließt zu Miss Fortune auf.
„Hmm“, Jinx grübelt nachdenklich. „Ich hätte ja auf doppelte Regenbogen getippt.“
Jetzt verdrehe ich die Augen. Ich knuffe sie in den Arm.
„Komm, gehen wir nach den Keksen suchen.“
Es ist schon dunkel, als ich und Jinx zurück ins Lager kommen. Am Wegrand macht sich Poppy über das Feuerholz her. Sie ist nicht zufrieden. Jinx knabbert geräuschvoll an einem weiteren Keks und verkündet damit unsere Ankunft.
„Das hat ja ziemlich lang gedauert“, grummelt Poppy. Sie nimmt den nächsten Holzscheit zum Zerkleinern vom Stapel.
„Oh. Da bist du ja!“ Lulu springt von dem Baumstumpf herunter, auf dem sie gesessen hat, und schließt mich in ihre Arme. Wenigstens eine freut sich, uns zu sehen.
„Mach dir keine Sorgen, Plemplem“, meint Jinx und wirft den Beutel mit Orangen auf unseren Picknicktisch. „Ich habe Orangen und Kekse besorgt.“ Jinx schaut in den Beutel und holt den letzten Keks heraus. „Na ja, Orangen und einen Keks.“
Jinx bricht den Keks in zwei Hälften und gibt die eine Lulu, die andere behält sie für sich.
„Hier Kleine, und sag nicht, ich würde nicht teilen“, sagt sie.
Lulu sieht zu Jinx auf und lächelt. Poppy stöhnt.
„Na gut“, fügt Jinx hinzu, „aber nur, weil du noch verrückter bist als ich.“ Dann gibt sie Lulu auch die zweite Hälfte. „Und natürlich auch, weil ich nicht will, dass Poppy was abbekommt“, flüstert sie unüberhörbar. „Hey, müssen wir nicht irgendwas anzünden?“
„Du meinst ein Lagerfeuer“, sage ich.
„Ja, genau.“ Jinx greift in ihre Stofftasche mit den waffenbestückten Sternen. Ich höre Kuro quietschen und das Klicken eines Abzugs.
„Na-hein.“ Ich schüttle den Kopf. „Es werden keine Kräfte eingesetzt.“
„Spaßbremse.“ Jinx verdreht die Augen. Poppys lacht, während sie das Kleinholz bearbeitet.
Janna beugt sich mit einem angezündeten Streichholz und einem Haufen trockener Tannennadeln in den Händen über die Feuerstelle. Nach ein paar Sekunden fangen die Nadeln an zu brennen. Eine dünne Rauchschwade steigt auf, und Janna bläst ganz vorsichtig, bis sich ein größerer Zweig in der Mitte entzündet. Sie setzt das brennende Bündel unter die aneinander gelehnten Holzscheite in der Mitte und lächelt Jinx zufrieden an.
„Und das ist nicht geschummelt?“ Jinx wirft die leere Kekstüte mit einem melodramatischen Seufzer auf den Tisch und sucht nach einem Stock. „Was soll’s. Haben wir Würstchen mitgenommen?“
Poppy stapelt das säuberlich gehackte Holz neben Janna auf. „Ist das nicht das Einzige, das du mitgenommen hast?“
„Ooooh ja“, ruft Jinx laut, als sie sich erinnert. Sie findet ihre achtlos platzierte Tasche und zieht eine Packung Würstchen heraus, von denen sie vier Stück auf einen dünnen Stock steckt. „Ich hab auch noch ein Handtuch mit, Zwerg. Ich bin nämlich verantwortungsvoll.“
Ich setze mich auf einen Stumpf neben Janna. Ihr scheint es wieder besser zu gehen.
„Alles okay?“, frage ich sie. Sie nickt.
„Ich glaube, ich habe einfach ein bisschen frische Luft gebraucht.“
Ich zeige auf all die Bäume, die uns umgeben, und lächle. „Nun, da sind wir hier wohl genau richtig.“
Janna nickt zustimmend, aber ohne jegliche Begeisterung. Bevor ich weiterfragen kann, wischt sich Lulu die Kekskrümel von den Fingern und klettert neben Janna.
„Erzähl uns eine Geschichte, Janna“, sagt sie.
„Ich kenne keine Geschichten, Lulu.“
„Wir wär’s mit einer Geistergeschichte, Janna!“, fügt Jinx hinzu. „Du bist doch schon alt. Du kennst doch bestimmt ein paar Geister, oder?“
Janna hebt eine lavendelfarbene Augenbraue.
„Wie bitte?“ Lulu macht Hundeaugen.
Janna atmet tief durch. Scheinbar kann niemand Lulu heute etwas abschlagen.
„Na gut“, beginnt Janna. „Es war einmal ein einsames Licht, das sich der Finsternis widersetzte.“
„War das der erste Stern?“, fragt Lulu.
Janna nickt.
„Ja. Am Anfang war der erste Stern ganz allein. Doch nach einer Weile wollte er nicht mehr allein sein, und so bündelte er sein ganzes Sternenlicht und schickte es in die Nacht hinaus.“ Janna deutet mit einer sanften Handbewegung zum Himmel und zeigt auf die Sternendecke über uns.
„Und so sind wir entstanden“, sagt Lulu stolz.
„Du. Ich. Die Tiere und die Bäume. Sogar Jinx“, fügt Janna mit einem Lächeln hinzu. „Jeder trägt einen Funken dieses Lichts in sich. Es ist sehr mächtig, und der erste Stern wusste, dass man es vor der Finsternis beschützen muss. Die ersten Sternenwächter, so sagt man, waren stark und voller Licht.“ Jannas Stimme wird leiser. „Aber wer hell leuchtet, verglüht auch schnell.“
„Sind wir nicht deswegen hier?“, meldet sich Poppy verwirrt zu Wort. „Unsere Pflicht ist es, das Licht des ersten Sterns zu schützen.“
„Ja“, stimmt Janna zu. Sie sieht zu mir hinüber. „Aber es ist mehr als eine Pflicht, es ist unser Schicksal. Und es ist unser Schicksal, das gemeinsam zu tun. Der erste Stern wusste, wie schwer diese Aufgabe sein würde, vor allem, wenn man auf sich allein gestellt ist.“
„Ist jemand schon mal gegen den Strom geschwommen und hat sich diesem ganzen Schicksalsquatsch nicht gebeugt?“ Jinx stochert mit ihrem Würstchenstock im Feuer herum und wirbelt glühende Asche auf. Ich bin überrascht. Ich dachte, sie hätte nur ihr verkohlendes Fleisch im Kopf.
„Es gab einmal eine Sternenwächterin, die beschloss, dass sie aus dem Kreis ausbrechen wollte. Sie wollte nicht ins Sternenlicht zurückkehren. Sie wollte bleiben, wer sie war.“
„Du hast meine ungeteilte Aufmerksamkeit“, sagt Jinx und dreht sich zu Janna.
„Man sagt, dass sie zuerst in einem vollkommen finsteren System landete“, fährt Janna fort.
„Hat sie Schwestern gefunden, wie wir?“, fragt Lulu.
„Oh, ja“, sagt Janna. „Und weil ihre Ecke der Galaxie so dunkel war, bedeuteten sie ihr alles. Eine Zeit lang waren sie glücklich. Und sie war glücklich, sie zu haben. Bis eines Tages ein Gefecht stattfand. Ein großes Übel kam, rasant und schrecklich. Sie verlor ihre Schwestern im Kampf und wurde sehr traurig.“
„Das würde mich auch traurig machen“, schnieft Lulu.
„Mich auch, Lulu“, sagt Janna und umarmt sie. „Aber man sagt, dass sie nicht traurig blieb, sondern sehr wütend wurde und dem Licht des ersten Sterns den Rücken kehrte. Es heißt, sie folgte dem Bösen zu seinem Ursprung, in der Hoffnung, sie könne einen Weg finden, ihrem Schicksal zu entkommen.“
Lulu erschauert und kuschelt sich näher an Janna.
„Lebt sie noch?“, fragt Poppy.
„Ich weiß es nicht.“ Janna denkt nach. „Wenn ja, dann wäre ihr Licht mittlerweile sehr alt.“
„Älter als deins, Janna?“, neckt Jinx sie.
„Ja“, sagt Janna. „Älter als meins.“
Lulu gähnt. „War das eine wahre Geschichte?“, fragt sie.
„Ich bin mir da nicht so sicher, Lulu“, sagt Janna leise.
Es ist still. Ich höre nur noch das Knistern des Feuers, als die Nacht über uns hereinbricht. Ich entschließe mich dazu, die Stille zu durchbrechen.
„Der Meteorschauer geht in vier Stunden los. Vielleicht sollten wir bis dahin eine Mütze Schlaf nehmen“, schlage ich vor.
Janna stützt die müde Lulu und geht langsam mit ihr in Richtung eines der zwei Zelte. Ich folge ihr. Poppy hält mich auf und zeigt auf das andere Zelt, bevor sie noch vor Janna in ihrem verschwindet.
„Du schläfst bei Jinx“, sagt Poppy leise. „Sie schnarcht. Viel Glück.“
„Das habe ich gehört, Winzling“, sagt Jinx und stopft sich noch ein paar Würstchen in den Mund.
„Keine Sorge“, sagt Janna, als sie Lulu ins Zelt führt. „Ich passe auf sie auf.“
Ich lächle und nehme einen Eimer Wasser, um das Feuer zu löschen. Ich sehe auf. Den Himmel bedecken mehr Sterne, als ich zählen kann. So viele. Vielleicht noch mehr Sternenwächter. Genau wie wir. Es wäre schön, sich nicht so allein zu fühlen. Ich vertreibe diese Hoffnung aus meinem Kopf und schütte Wasser aufs Feuer. Es zischt und dampft, als die Ascheglut erlischt, und ich bleibe allein in der Nacht zurück.
Ich klettere ins dunkle Zelt. Jinx schnarcht bereits vor sich hin, und ich höre Poppy im Zelt nebenan schmatzen. Nicht ganz das, was man sich unter Ruhe und Frieden vorstellt, aber wir sind zusammen. Im Dach des Zelts sind vier Löcher. Durch sie kann ich den Himmel sehen. Ich versuche, die Sterne zu zählen.
Ich schaffe es nicht einmal bis zehn, bevor mich die Müdigkeit übermannt.
Die Finsternis ist die gleiche, doch diesmal ist der Traum entsetzlich anders.
Ich befinde mich nicht mehr allein auf dem Grund des einsamen Brunnens, sondern alle sind hier. Lulu, Janna, Jinx und Poppy. Wir sind alle verloren in der Dunkelheit. An die Stelle ihrer friedlichen Gelassenheit ist Panik getreten. Ihre gedämpften Stimmen klingen alle durcheinander und flehen mich an, sie herauszuholen.
Über uns in weiter Ferne sehe ich eine Handvoll Sterne. Ihr Licht flackert und verschwindet fast ganz. Sie rufen auch nach mir, aber ich kann sie nicht erreichen. Ich kann mich nicht bewegen. Glühende Asche regnet von oben herab. Sie glitzert, als sie mir durch die Finger gleitet. Ich erkenne, was sie ist, bevor ihr gedämpftes Licht komplett verschwindet.
Zeichen der Sternenwächter. Zerschmettert und gebrochen.
Ein unsichtbares Gewicht trifft mich direkt in der Brust und raubt mir den Atem. Es zieht mich tiefer hinunter. Das Sternenlicht über mir verblasst und entfernt sich immer weiter. Das schwere Gewicht springt auf und ab. Es schüttelt mich, aber meine Arme und Beine sind bewegungslos. Ich stecke fest, gefangen in der Finsternis.
Das Gewicht hört auf zu springen. Ich falle weiter.
„Es hat keinen Sinn.“ Poppys Stimme klingt genervt und resigniert. Sie scheint jetzt näher zu sein, doch ich kann sie noch immer nicht erreichen.
„Lass mich mal. Ich zeig dir, wie man das macht, Mini.“
Kratzendes Metall und dann ein Wasserschwall. Ich atme tief ein, als das kalte Wasser über mich hinwegspritzt. Ich ertrinke. Diesmal ertrinke ich wirklich. Ich pruste und öffne meine Augen. Es war nur ein Traum. So halb. Das Gewicht auf meiner Brust hat die Form von Poppy.
Jinx steht über uns mit einer leeren Feldflasche in der Hand. „Schaut mal, unsere furchtlose Anführerin ist wach.“
„War das wirklich nötig, ihr beiden?“ Ich wische mir das Wasser aus den Augen und versuche, meinen Schlafsack mit einem Pulli trockenzuwischen.
„Lulu ist weg“, sagt Poppy schnell.
Sofort stürze ich aus dem Zelt und ziehe mir unterwegs die Schuhe an. Ich öffne den Eingang zu Lulus Zelt. Ihr Schlafsack ist leer. Jannas auch.
„Janna hat nicht einmal den Stock genommen, den ich ihr gemacht habe“, fügt Jinx besorgt hinzu. „Was, wenn die alte Dame hinfällt und nicht mehr hochkommt?“
Das ist schlimmer als der Traum.
„Wir konnten sie nicht ohne dich suchen gehen“, beharrt Poppy. „Du hast doch gesagt, dass es unsere Pflicht ist, beisammen zu bleiben.“
„Ich wollte nur eine Flasche Wasser auf dich schütten, um zu sehen, was passiert“, sagt Jinx. Sie versucht, es gleichgültig klingen zu lassen, aber ihr Gesicht spricht Bände.
„Können wir jetzt gehen?“ Poppy zieht an meinem Arm.
Auf dem Kopfkissen von Janna liegt das Bild, das Lulu von uns auf der Wiese gemalt hat. Wir schauen alle zum Himmel. Neue Sterne, hat Lulu gesagt. Mir rutscht das Herz in die Hose, als ich mir das Bild genauer ansehe. Die Glühwürmchen. Schwarz und grün glühende Dinger um uns herum. Ich habe kein gutes Gefühl bei der Sache.
Ich schaue zu Poppy und Jinx. Ich kann mich nicht daran erinnern, wann die beiden das letzte Mal einer Meinung waren. Die Sorge steht ihnen ins Gesicht geschrieben. Taschenlampen werden heute Nacht wohl nicht ausreichen.
„Poppy, hol deinen Hammer. Jinx, wecke Shiro und Kuro auf“, sage ich. „Heute Nacht brauchen wir Kanonen.“
Das Licht aus meinem Stab ist tausendmal besser als die Taschenlampe, beruhigt mein Herzklopfen aber nur bedingt. Ich halte an, um mir die Karte des Zeltlagers anzusehen, die ich mit meiner anderen Hand fast zerknüllt habe. Doch leider muss Lulu einen Weg gefunden haben, der hier nicht eingezeichnet ist. Wir sind schon weit außerhalb des Zeltlagers.
„In der Nähe gibt es eine Lichtung“, sage ich. „Wegen eines Steinrutsches ist der Zutritt verboten.“
„Klingt wie der ideale Ort, um neue Sterne willkommen zu heißen“, keucht Jinx ganz erschöpft durch den steilen Weg. „Blöde Kekse.“
Poppy umklammert ihren Hammer fester. „Gehen wir.“
Die Abstände zwischen den Bäumen werden immer größer, bis wir schließlich die Wiese erreichen. Ich atme tief durch. Jinx stößt einen leisen Pfiff aus.
Es ist wunderschön hier.
Seichter Nebel liegt auf der Wiese wie eine Decke. Mondwinde rankt sich um winzige Wildrosen. Kleine blaue Blumen strecken ihre Köpfchen aus dem Dunst. Weiße Granitblöcke reflektieren das silberne Mondlicht und sprenkeln die dunkle Wiese wie ein felsiges Sternenmeer. Über uns hat der Meteorschauer begonnen.
In der Mitte der Wiese sitzt unsere kleine grünhaarige Lulu auf einer rot-weiß karierten Picknickdecke. Sie hat sogar die Orangen mitgenommen.
„Oh, dem ersten Stern sei Dank. Sie ist hier.“ Eine leichte Brise fegt den Nebel hinfort, als Janna hinter einer großen Tanne hervorkommt. Sie muss den entgegengesetzten Pfad eingeschlagen haben. Sogar sie ist ein wenig außer Puste.
„Lux!“ Lulu springt auf. Ich kann nicht anders, als ihr entgegenzulaufen. Ich laufe so schnell, dass der Boden zittert. Moment, nein … Ich halte an, doch der Boden bebt weiter. Ein grün-schwarzes Glühen scheint wie kränkliche Adern durch den Nebel. Die Erschütterungen sind im Einklang mit dem pulsierenden Glühen.
„Lulu.“ Ich kann mich über das tiefe Grollen der bebenden Felsen unter uns kaum hören.
„Wir sind nicht allein. Neue Sterne kommen, Lux.“ Die Unschuld in Lulus Augen ist verschwunden. Sie nimmt meine Hand. „Ich habe sie im Traum gesehen.“
Obwohl sie direkt neben mir steht, klingt ihre Stimme unglaublich fern. So, als wäre sie noch in dem Traum gefangen.
Jinx, Poppy und Janna umkreisen den Rand der Wiese. Die Erde unter meinen Füßen hebt sich.
„Bleibt zurück!“, rufe ich.
Doch die Warnung kommt zu spät. Die Risse werden zu tiefen Spalten. Der Nebel reißt auf und ein Schwarm schwarzer Insekten so groß wie Hunde kommt hervorgekrabbelt und hinterlässt ein unheimliches grünes Licht.
Mit meinem Stab in der Hand lenke ich einen Strahl Sternenlicht auf eine der Kreaturen in meiner Nähe. Das Licht trifft das Wesen unter seinem geflügelten Panzer. Es explodiert und hinterlässt widerlichen, leuchtend grünen Schleim.
„Beim Sternenlicht“, flüstere ich. „Sie haben Flügel!“
Ich schreie es den anderen zu. „Sie haben Flügel! Wir dürfen sie nicht bis zum Lager kommen lassen!“
„Wuhu.“ Ich höre Jinx über das Getümmel hinweg kreischen. „Shiro. Kuro. Kleines Gemetzel gefällig?!“ Raketen zischen durch die Luft, bevor sie ihren Satz beendet hat. „Komm schon, Mini, zerquetschen wir ein paar Käfer!“
„Das musst du mir nicht zweimal sagen, Raketentante!“, ruft Poppy ihr zu.
Ich sehe Janna einige Meter über dem Boden schweben. „Halt dich fest, Lulu!“ Ich spüre, wie sich ihre Finger fester um meine schlingen. Jannas Stimme hallt über das Feld.
„Für Ruhe und Frieden!“ Ein Windstoß weht den Nebel von der Wiese. Einige der Kreaturen werden von den Wirbeln erfasst und krachen gegen Baumstämme. Ohne den Nebel erkenne ich, dass da viel mehr schreckliche kleine Viecher sind, als ich dachte. Das ist kein gewöhnlicher Angriff. Das ist eine Nummer zu groß für uns.
„Schaut, die neuen Sterne!“, ruft Lulu.
Fünf Lichter ziehen über den Nachthimmel. Sie sind auf direktem Weg zu uns. Meine Augen folgen ihrem Schweif, bis sie landen. Die Lichter teilen sich und landen elegant auf der Wiese. Als sie auftreffen, explodieren etliche der Kreaturen.
Nachdem sich Staub und Schleim gelegt haben, klappt mir der Kiefer fast bis zum Boden.
Das sind Ahri und ihr Gefolge. Miss Fortune, Syndra, Ezreal und sogar das stille Mädchen mit den minzgrünen Haaren.
„Du bist eine Sternenwächterin?“, rufe ich. „Ihr seid alle Sternenwächter?“ Niemand kann mich über den Lärm hinweg hören. Und außerdem sind alle Augen auf Ahri gerichtet.
„Zeit zu glänzen, meine Damen“, sagt sie. Ihr Lächeln allein könnte die Wiese erhellen. „Du auch, Ezreal.“
Sie bewegen sich synchron wie eine Einheit. Miss Fortune hält eine schimmernd weiße Pistole in die Höhe und gibt den ersten Schuss ab. Das Geschoss schlägt durch die erste Kreatur und durch die dahinter. Das ist das erste Mal, dass ich sie lächeln sehe, und ich bin froh, dass ich gerade nicht in ihrer Schusslinie stehe. Ahri und Ezreal sind wie Lichtstreifen, wie sie in und aus dem Kampf springen. Die Kreaturen sind definitiv nicht schnell genug, um mithalten zu können. Ahri kichert und wirft einem der größeren Monster einen Kuss zu. Scheinbar noch hirnloser als zuvor läuft es langsam auf sie und die leuchtenden Kugeln zu, mit denen sie herumspielt. Ihr Kichern endet abrupt, als sie ihre Kugel auf die Kreatur wirft, die in einer Explosion aus dunklem Schleim ausgelöscht wird.
Syndra hält sich zurück, doch nur kurz, und stürzt sich dann selbst mit drei Sphären in den Kampf. Das wahnsinnige Grinsen auf ihnen könnte selbst Kuro und Shiro das Wasser reichen. In der Mitte hebt das Mädchen mit den minzgrünen Haaren einen langen Stab in die Höhe und kanalisiert das Sternenlicht. Als ich sie ansehe, schlägt mein rasendes Herz langsamer und der Druck auf meiner Brust wird weniger. Ahris Kugel erwischt mühelos auch die letzte Kreatur und lässt sie in einem Schauer aus schwarzem, insektenartigem Exoskelett und organisch leuchtendem Glibber explodieren. So schnell wie das neue Team da war, ist der Kampf auch vorbei.
Ahri reibt missbilligend die Fingerspitzen aneinander und sammelt ihre Kugeln ein. Die Überreste der Kreatur sind eindeutig nicht ihr Ding. Syndra jongliert ihre dunkelvioletten Sphären. Ihre lässige Arroganz erhebt sie über das ganze Chaos.
„Nichts Besonderes, was Soraka?“, sagt Ezreal und zwinkert dem stillen Mädchen zu. „Danke für die kleine Stärkung.“
Soraka behält ihr heiteres Lächeln bei und nickt Ez begeistert zu.
Sichtlich zufrieden mit dem ganzen Trubel lächelt Ez in meine Richtung, während sich sein geflügelter Vertrauter in den Handschuh zurückzieht. Miss Fortune bläst den Rauch von ihren Zwillingspistolen und ignoriert sie beide.
Mit der Ruhe ist es schnell wieder vorbei, als der Boden erneut anfängt zu rumoren. Bevor ich bis zwei zählen kann, bricht die Erde auf und die Wucht schlägt mich zurück. Ich knalle mit dem Kopf gegen einen Baumstamm.
„Au.“ Ich versuche, den klirrenden Schmerz in meinem Kopf abzuschütteln. Ich bleibe stehen, als die Wiese selbst ganz instabil wird, so als würde sich das Raum-Zeit-Gefüge vor mir verzerren. Das grüne Glühen ist wieder da, stärker als zuvor.
„Lulu! Jinx!“ Ich suche die Umgebung nach den anderen ab, kann aber nur den gewaltigen Panzer einer Art Weltraumkäfer sehen, der so groß ist wie zwei Elefanten und sich aus der größten Erdspalte erhebt.
Ich spüre, wie der Boden bebt, und plötzlich erscheint vor mir ein Lichtstrahl. Ein weißer Handschuh greift nach meiner Hand, als die Erde unter mir nachgibt.
Ez.
„Ich hab doch gesagt, wir sehen uns später.“ Seine Stimme wird vom Chaos übertönt. „Dieses interdimensionale Scheusal wird sich nicht von selbst vernichten.“ Die Welt liegt gleich buchstäblich in Scherben, und er bringt immer noch ein Lächeln zu Stande. „Bist du bereit, Sternchen?“
Ich nicke. So bereit, wie es nur geht. Er hebt mich hoch und schleudert mich in den Himmel, direkt über das Monstrum. Von hier oben kann ich alle sehen.
Janna und Soraka halten eine Horde kleiner Krabbelviecher in Schach, die aus den kleineren Rissen kommen. Ahri, Miss Fortune und Syndra schalten sie nach und nach aus, während sie sich gegen den großen Käfer in Position bringen. Ich lande in der Nähe von Lulu, die den vielen Beinen der Kreatur auszuweichen versucht, während Pix die kleinen Viecher röstet. Jinx und Poppy scheinen am Rand des Feldes zu streiten. Ich kann sie in dem ganzen Getümmel kaum hören.
„Du willst, dass ich was tue?“, brüllt Jinx.
„Die Rakete. Schieß mich mit der Rakete in die Luft!“, brüllt Poppy zurück.
„Poppy!” Jinx klappt vor Schreck die Kinnlade herunter. Dann zeichnet sich auf ihrem Gesicht langsam ein Lächeln ab und sie umarmt das kleine, blauhaarige Mädchen. „Ich dachte schon, du würdest nie fragen.“
Im nächsten Moment sitzt Poppy mit dem Hammer in der Hand auf einer Rakete, die direkt auf den triefenden Schlund der Kreatur zurast. Der Hammer prallt mit einem lauten Krachen auf. Die Kreatur schwankt. Der Moment ist gekommen. Ich hebe meinen Stab und kanalisiere das Sternenlicht. Die scharfen Mundwerkzeuge des Monsters klappern gierig in der Luft. Es erspäht Lulu zu seinen Füßen und reißt seinen Schlund auf.
Mein Lichtstrahl trifft es mit voller Wucht und durchbohrt es vollständig. Giftige Flüssigkeit tränkt das Feld. Die Kreatur kreischt, schwankt und kippt um.
Seine schweren, fuchtelnden Gliedmaßen schlagen im Todeskampf nach hinten aus. Wo Lulu ist. Ich schaue mich um. Niemand von den anderen ist nah genug an ihr dran. Ich stürze los und stoße Lulu aus dem Weg. Schwarze Überreste des Monsters regnen auf mich herab.
Und dann wird alles um mich herum dunkel.
Das Nächste, das ich höre, ist Stoff, der im Wind flattert. Und zwitschernde Vögel. Meine Finger liegen auf einer dünnen Decke. Ich öffne die Augen. Das Sonnenlicht sticht mir durch die vier kleinen Löcher in der Zeltdecke in die Augen. Ich bin in meinem Zelt.
„Ähm … Was …“ Die Wörter bleiben mir im Hals stecken. Ich versuche, mich aufzusetzen, lasse es aber, als die Zeltdecke beginnt, sich zu drehen. „… bin ich?“
„Nein, bist du nicht“, antwortet eine lässige Stimme.
Das Ende meines Schlafsacks strafft sich, als sich jemand zurechtsetzt. Ich versuche, durch das Schwindelgefühl in dieselbe Richtung zu blinzeln. Ahri streicht ihr perfektes, pfirsichfarbenes Haar hinters Ohr.
„Du hast gestern Nacht ganz schön was abgekriegt“, sagt sie.
Die Geschehnisse der letzten Nacht rauschen mir wie Filmfetzen wieder ins Gedächtnis. Wir laufen durch den Wald. Das Feld. Die Kreaturen. Lulu. Dann bricht alles um mich herum zusammen. Das war kein Albtraum.
Ich richte mich ruckartig auf, was ich schon im nächsten Moment bereue, denn es fühlt sich so an, als würde mein Gehirn gegen die Schädeldecke schlagen.
„Und Lulu? Ist sie …?“ Ich verziehe vor Schmerz mein Gesicht. Ich reibe mir die Stirn und versuche so, die Kopfschmerzen loszuwerden.
„Es geht allen gut. Sie sind Frühstück holen“, sagt Ahri. „Der blaue Gartenzwerg hat mir gedroht, mich mit ihrem Hammer bekanntzumachen, wenn ich ihr nicht sofort sage, wenn du aufwachst.“
Ahri nimmt die Trinkflasche neben ihr in die Hand. Dann reicht sie sie mir.
Ich nehme einen Schluck kaltes Wasser und sehe sie dabei weiter an. So aus der Nähe betrachtet müssten wir in etwa im gleichen Alter sein. Aber irgendwas an ihr ist anders. Mehr Erfahrung. Mehr Selbstbewusstsein. Sie hat schon mehr von all dem gesehen, was das Universum für uns auf Lager hat. Sie ist die Anführerin, die wir eigentlich brauchen. Ich weiß es.
„Ich wollte dir nur sagen, dass du das Richtige getan hast“, sagt sie. „Wie du dein Leben riskiert hast und eingeschritten bist.“
„Das war doch gar nichts.“ Ich will das Kompliment nicht annehmen. „Jede von uns hätte das getan. Das machen Sternenwächter nun mal so. Wir sind Schwestern.“
Sie lacht leise, doch dann verfinstert sich ihr Gesicht. Einen Augenblick später ist der Schatten auf ihrem Gesicht verflogen und die perfekte Fassade wiederhergestellt.
„Wir sind keine Schwestern“, sagt sie leise mit Bedauern in der Stimme. „Wir sind nur Fremde mit Erinnerungen.“
Sie steht auf.
„Wir haben die Stelle gesichert. Mein Team wird noch heute Morgen in die Stadt zurückkehren. Wir kümmern uns ab jetzt um alles. Du und deine Mädchen können hierbleiben, bis ihr euch erholt habt. Genießt die Sommersonne. Danach mischt ihr euch nicht mehr ein.“
„Warte, du wirst uns nicht anführen?“, frage ich verwirrt. Mein Kopf pocht. „Uns alle gemeinsam? Mit einem doppelt so großen Team sind wir auch doppelt so stark. Wir haben doch letzte Nacht perfekt zusammengearbeitet.“
„Du hast letzte Nacht fast ins Gras gebissen“, sagt sie.
Ich höre ihr nicht mehr zu. „Zusammen kann uns nichts aufhalten.“
„Nein, Lux“, sagt sie mit einer endgültig erscheinenden Bestimmtheit. „Zusammen haben wir viel zu viel zu verlieren.“
Und schon wieder nimmt sie mir den Wind aus den Segeln. Ahri dreht sich um, um zu gehen.
„Sternenwächter sind ein Team“, sage ich. Mir schnürt sich die Kehle zu. Ich werde nicht betteln, aber ich kann versuchen, sie zur Vernunft zu bringen. „Es ist unser Schicksal.“
Ahri hält inne. Sie mustert mich eingehend. Die Zeltklappe ist offen; die hellen Sonnenstrahlen teilen ihr Gesicht in Licht und Schatten. „Schicksal?“, sagt sie mit unterschwelliger Bitterkeit in der Stimme. „Das ist so ein unschönes Wort.“
Die Klappe fällt hinter ihr zu. Ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird vor lauter Frust. Sie ist eine Anführerin der Sternenwächter. Warum will sie uns nicht anführen? Warum lässt sie mich allein? Ich starre an die Zeltdecke. Lichtstrahlen tanzen durch die vier Löcher.
Nicht allein. Jinx und Poppy und Lulu und Janna sind noch da. Sie brauchen jemanden. Ich kann sie nicht einfach im Stich lassen. Ich bin alles, was sie haben.
Ich torkle nach draußen ins Licht. Ich kann nicht warten, bis die Welt aufhört, sich zu drehen.
Jinx hatte Recht.
Der Sommer dauert nicht ewig.
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