Geschichte[]
Weit über ihm hörte Udyr das Kreischen eines Adlers, der durch die Luft glitt. Er klang stark und zuversichtlich, doch nicht nahe genug, um sich einen Weg in Udyrs eigene Gedanken zu bahnen. Wie erleichternd es war, sich so menschlich zu fühlen.
Die Stimmen verstummten nie, doch Udyr wusste die wenigen Momente der Ruhe zu schätzen. Sie waren kurz und selten.
Ich kann mich selbst atmen hören … zumindest fürs Erste.
Heute war er allein unterwegs. Er wanderte die Berghänge hinauf, während ein kalter Wind ihm folgte und seine nachklingende Erinnerung an Ionias ätherische Schönheit mit jeder Böe weiter davontrug. Die Mönche im Hirana-Kloster hatten ihm ein Abschiedsgeschenk gemacht, als er ihre Ländereien vor ein paar Monden verlassen hatte – ein Rätsel. Es sollte ihn auf seinem Pfad führen und ihm helfen, seine spirituellen Kräfte zu beherrschen.
Fließt die reine Lebensessenz der Natur
Jetzt zu Glas erstarrtIn ihrer Sprache klang es viel schöner als in seiner eigenen, doch er hatte nicht lange gebraucht, um es zu lösen. Nachdem er monatelang mit dem blinden Mönch gereist war, hatte Udyr gelernt, die Bedeutung der ionischen Sprache zu entziffern.
Als er die steilen östlichen Hänge des Winterstachels erreichte, hielt Udyr inne und ließ den majestätischen Anblick des gefrorenen Sees vor ihm auf sich wirken. An seinem Rand lagen die Gebeine und Körper von wilden Tieren, toten Schamanen und Priestern, die Monate, Jahre und ganze Lebensalter vor ihm an diesen Ort gekommen waren.
Udyr stand mit nacktem Oberkörper und geschlossenen Augen still in der kühlen Morgenluft.
Dieses Land war mein Zuhause …
Er blickte hinab auf sein Spiegelbild im Eis. Es zeigte das Gesicht eines Mannes, rau und müde nach all den Reisen.
Die Ruhepause ist vorbei. Ich höre sie kommen.
Das Eis regte sich. Zuerst tat sich nur ein Riss auf und Udyrs Spiegelbild zerbarst in viele kleine Teile. Dann brachen ganze Platten ab und trieben auseinander. Udyr wartete respektvoll.
Das frostige Wasser blubberte. Erst nur ein wenig, dann immer mehr und überall gleichzeitig. Dampf stieg über der Oberfläche auf und erhitzte die Luft.
Udyrs Schultern hoben sich, als er ruhig Luft holte, um sich bereit zu machen.
Aus dem Nebel stürzte eine Bestie aus Eis, das die Magie des Landes geformt und der See hervorgebracht hatte. Der Boden erbebte, als sie mit donnernden Schritten auf Udyr zukam.
Udyr blickte zu dem wilden Geist auf, der über ihm ragte. Er war dreimal so groß wie er selbst.
Das Murmeln erklang erst leise und sanft – wie Blätter, die auf frischen Schnee hinabfallen. Doch es wurde schnell lauter.
Verbittert. Unruhig.
Da sind sie.
Aus Brummen wurde Knurren, aus Murmeln Gebell, aus einer Stimme ein Stimmengewirr. Ihr Zorn ergriff von seinem Geist Besitz und ließ all seine Gedanken zersplittern. Zuerst konkurrierten die Stimmen miteinander – Elnuhks, Drüvasks und andere. Udyr hatte sie schon viele Male in seinem Kopf vernommen. Doch rasch vereinten sie sich und nahmen die Gestalt an, die er am meisten fürchtete.
Die Gestalt des gefräßigen Tigers.
„Geistwanderer. Tritt näher“, knurrte er. „Erhebe deine Stimme und zeig uns, warum du zurückgekehrt bist.“
Udyr konnte gerade genug Kraft aufbringen, um ein Keuchen zu unterdrücken. Seine Knie gaben unter dem Gewicht des Lärms in seinem Kopf nach. Er riss seine Hände nach vorn, um seinen Körper auf dem Boden abzustützen. Mit Mühe hob er den Kopf und starrte die wilde Kreatur an, doch er wollte ihr nicht antworten.
Die Stimmen mochten Udyrs Schweigen nicht und schwollen an, doch der Tiger brüllte am lautesten.
„Du verdienst es nicht, Freljord deine Heimat zu nennen. Du bist schwach.“
Udyr spannte seine Muskeln an, als der Geist ihn mit dem Kopf rammte und Splitter des eisigen Körpers sich in seine Haut bohrten. Udyr rollte über den Boden und stieß gegen harten Fels.
Ich darf nicht nachgeben.
Er fand sein Gleichgewicht wieder, wischte sich das Blut aus dem Gesicht und ballte seine Hände unter Anstrengung zu Fäusten. Er schlug mit den Knöcheln auf den gefroren Boden und das Pochen in seinen Armen überwältigte ihn. Die Venen zwischen seinen Händen und Schultern pulsierten. Udyr kämpfte sich wieder hoch und machte sich bereit, einen weiteren Schlag abzuwehren.
Der Geist brüllte erneut auf. „Die Starken kämpfen! Aber du unterdrückst deine Stimme und kauerst vor deinem Gegner!“
Der Geist senkte den Kopf und stürmte auf ihn zu. Udyr wollte ihm ausweichen, doch sein Widersacher war schneller und stärker. Als er auf die Seite rollte, erwischte ihn der Tiger mit seinen Klauen am Bein und das Blut des Geistwanderers spritzte über den gefrorenen Boden.
Udyr stützte sich vor Schmerzen auf ein Knie. Er spürte, wie seine Wut langsam hochkochte, doch er hielt sich noch zurück.
Ich darf nicht nachgeben.
Der Geist kam näher und stieß einen wilden Schrei aus, bevor er sich auf Udyr stürzte. Da dieser nicht genug Zeit zum Ausweichen hatte, überkreuzte er die Arme vor seiner Brust und ballte die Hände zu Fäusten. Magische Energie umgab ihn und wehrte den tödlichen Schlag des Tigergeistes ab.
Der Geist rutschte nach hinten. Nachdem er wieder Halt gefunden hatte, grinste er ihn mit gebleckten Fängen an. Bösartige Energie knisterte in seinem eisigen Körper und sorgte dafür, dass die Knochen seiner früheren Opfer unter seinen Pfoten zersplitterten. Dieser Ort kannte nur den Tod.
Udyr kniete mit gesenktem Kopf auf dem Boden, während dumpfer Schmerz durch seinen Körper zuckte und der Geist ihn umkreiste. Bei jedem seiner Schritte erzitterte die Erde.
So wirst du keinen Erfolg haben.
Er biss die Zähne so heftig zusammen, dass seine Lippen bluteten, als der Boden erneut erbebte.
Die Stimmen dröhnten in seinem Kopf. „Die Schwachen … sind Beute!“
Udyr blickte auf und sah, wie der Geist mit blutrünstigen Augen auf ihn zustürmte – sie waren so weit aufgerissen, dass er sich in ihnen spiegelte. Auch in Udyrs Augen brannte ein Verlangen nach Gewalt.
Ich muss akzeptieren, wer ich bin.
Goldene Flammen schossen aus Udyrs Haut wie ein Waldbrand und die Wut, die durch seinen Körper strömte, stand dem Zorn des Tigergeistes vor ihm in nichts nach.
„Endlich will sich die Beute wehren!“
Udyr brüllte auf und rannte direkt auf den Tigergeist zu. Er schwang sich auf das Bein der Bestie, kletterte über die rissige Oberfläche hinauf und schlug seine blutenden Hände in sämtliche Eisstücke, die er erreichen konnte, um sich nach oben zu ziehen. Die Kreatur erzitterte und die scharfen Kanten ihres Körpers bohrten sich in die Haut des Geistwanderers. Udyr schrie. Er genoss den Machtrausch. Endlich entsprach sein eigener Zorn dem Feuer, das in seinem Gegner loderte, und die beiden Kontrahenten ergingen sich in ihrer hemmungslosen Gewaltorgie.
Mit einem brutalen Satz erreichte Udyr den Rücken des Geistes. Sein Blut floss in Rinnsalen die Flanken des Tieres hinunter. Geistenergie, eine Kraft so stark, dass sie jeglichen Schmerz ausblendete, durchströmte ihn. Die Stimmen der wilden Tiere tobten ungezügelt in seinem Kopf, verbitterte Schreie all jener, denen der Tiger das Leben genommen hatte, die mit seiner eigenen entfesselten Wut verschmolzen.
„Ich bin keine Beute!“
Udyr ließ explosive Faustschläge wie Blitze auf den Körper der Kreatur niederprasseln, sodass sich ein feines Netz aus Rissen auf der eisigen Oberfläche entspann. Er kratzte und schlug hemmungslos auf seinen Widersacher ein und riss ihm einzelne Eisbrocken aus. Dann warf er seinen Kopf in den Nacken, heulte vor Zorn laut auf und schlug seine Fangzähne tief in den Hals des Geistes.
Er hatte erwartet, dass der Geist stürzen, sein Körper zerbersten und riesige Eisklötze zu Staub zerspringen würden.
Doch er war bereits verschwunden, samt seiner Stimmen. Hatten sie gekreischt? Hatten sie aufgeschrien?
Hoch über ihm hörte er den Adler rufen.
Konzentration. Ruhe.
Udyr stolperte und fiel auf den festen Boden. Schwer atmend lag er neben dem See und sah zu, wie sein Gegner sich zurückzog. Plötzlich vernahm er ein weiteres Grollen und kämpfte sich wackelig auf die Füße. Der See begann zu tauen, als wollte er seinen Sieg feiern. Stück für Stück schmolz das restliche Eis und das steigende Wasser überströmte das kalte, harte Land.
Udyr rief sich das Ritual ins Gedächtnis, das er unzählige Male im Hirana-Kloster wiederholt hatte, und humpelte weiter. Mit den Händen schöpfte er kaltes Wasser und goss es sich über Kopf, Schultern und Rücken, um seine Wunden auszuwaschen. Dann nahm er langsam einen Schluck.
Er starrte auf sein Spiegelbild und ein Mann erwiderte seinen Blick. Verwundet, geprüft, am Leben.
Ich bin, wer ich bin.
Udyr hörte nur das fließende Wasser – aber er lächelte nicht.
Denn dieser Kampf ist noch lange nicht vorbei.
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