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Shurima Markt der Erleuchtung
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Shurima Tip

Kurzgeschichte • 36 Minuten zu lesen

Blutlinie

Von Graham McNeill

Taliyah hatte fast vergessen, wie sehr sie die sengende Hitze von Shurima vermisst hatte - den Schweiß und das Gedränge von Hunderten von Leuten, die drängelten, fluchten, feilschten und mit solcher Leidenschaft und Geschwindigkeit sprachen, dass es Außenstehenden vorkommen musste, als würden sie streiten.

Geschichte[]

Taliyah hatte fast vergessen, wie sehr sie die sengende Hitze von Shurima vermisst hatte – den Schweiß und das Gedränge von Hunderten von Leuten, die drängelten, fluchten, feilschten und mit solcher Leidenschaft und Geschwindigkeit sprachen, dass es Außenstehenden vorkommen musste, als würden sie streiten.

Auf all ihren Reisen hatte sie nie einen Ort gesehen, der so voller Energie und geschäftigem Treiben war wie ihre Heimat. Ionia Tip Ionia war wundersam und die vereisten Landschaften von Freljord Tip Freljord auf ihre ganz eigene Weise beeindruckend, doch die Shurima Tip shurimanische Sonne brannte sie aus ihrem Gedächtnis, als sie einen Fuß auf die Steinwerft von Bel’zhun setzte.

Die Verbindung, die sie zu dem Felsboden dieses Landes fühlte, durchfuhr sie wie einer von Babajans würzigen Tees. Sie hatte von einem Ohr zum anderen grinsen müssen, als sie die Stufen von den Docks heraufgekommen war und selbst, als sie unter dem schwarzen Stein eines Noxtoraa hindurchging, tat dies ihrer guten Laune keinen Abbruch.

Taliyah war nicht lange in Bel’zhun geblieben. Die noxianischen Kriegsschiffe im Hafen machten sie zu nervös und riefen unangenehme Erinnerungen wach. Sie blieb gerade lange genug, um Vorräte zu kaufen und um die Marktstände herum die neuesten Gerüchte aufzuschnappen, die die Handelskarawanen aus der Wüste mitgebracht hatten. Das meiste davon widersprach sich und klang nach Fantastereien. Visionen von Sandkriegern, Gewitterstürme an wolkenlosen Himmeln und Flüsse, die flossen, wo seit Menschengedenken kein Tropfen Wasser mehr den Boden berührt hatte.

Um ein paar freundliche Gesichter um sich zu haben, verließ sie Bel’zhun mit einer schwerbewaffneten Karawane von Seidenhändlern aus Nerimazeth, die südwärts nach Kenethet unterwegs waren. Sie ertrug das holprige Rollen der Karawane lange genug, um die Knochen-Souks dieser notorischen Stadt an der nördlichen Grenze der Sai zu erreichen, von wo aus sie auf eigene Faust weiterzog. Die Karawanenführerin – ein spindeldürre Frau namens Shamara mit Augen wie polierter Gagat – warnte sie davor, weiter in den Süden zu reisen, doch als Taliyah ihr sagte, dass ihre Familie sie brauchte, zeigte sie Verständnis.

Von Kenethet aus drang sie weiter in den Süden vor und folgte dem biegungsreichen Verlauf von dem, was die Leute nun wieder die Mutter des Lebens nannten, einem großen Fluss, dessen Quelle angeblich in der Hauptstadt des alten shurimanischen Reiches zu finden war. Ohne Augenzeugen kam sie viel schneller voran, da sie auf dem Felsen reiten und an seiner Spitze gleiten konnte, während sie ihn in schlängelnden Wellen unter sich formte. Der Fels trug sie immer weiter gen Süden auf Vekaura zu, eine Stadt, die Gerüchten zufolge halb im Sand vergraben war, der aus der Sai herübergeweht kam.

Laut Shamara war sie nicht viel mehr als ein Stammeslager, das auf den Ruinen einer verlassenen Stadt errichtet worden war, ein Treffpunkt für müde Reisende und herumziehende Nomaden. Doch selbst eine Meile entfernt konnte Taliyah sehen, dass sie in die Irre geführt worden war: Vekaura war wiederauferstanden.

Wenn sie doch nur die sterbende Frau nicht gefunden hätte.

Der Souk der Stadt wimmelte nur so vor Farben und Geräuschen. Beißende Gerüche waberten die gewundenen, mit Segeltuch überspannten Straßen hinunter, in denen Leute aggressiv feilschten und der Duft von scharfen Gewürzen und gebratenem Fleisch in der Nase kitzelte. Taliyah drängte sich durch die Menge, ignorierte die extravaganten Versprechungen der Kaufleute und ihr Flehen, an ihre hungernden Kinder zu denken. Eine Hand griff nach ihrer Kleidung und wollte sie zu einem Stand mit Regalen voller aufgespießter Wüsteninsekten heranziehen, doch sie konnte sich losreißen.

Hunderte von Leuten verstopften die breite Straße, die zu den baufälligen Mauern der Stadt führte. Aromatischer Rauch hing wie Nebel über den blubbernden Wasserpfeifen der alten Männer, die in den Hauseingängen saßen wie weise Greise. Sie sah die Stammeszeichen der Barbae, Zagayah, Yesheji und Dutzende weitere, die sie nicht kannte. Stammesmitglieder, die zu der Zeit, als sie Shurima verlassen hatte, noch Erzfeinde gewesen waren, liefen jetzt wie Brüder Arm in Arm.

„So vieles hat sich verändert, seit ich fortgegangen bin“, murmelte sie vor sich hin.

Sie hatte, wofür sie gekommen war, und musste nun zu dem eingefallenen Gebäude zurück, das sie sich am östlichen Rand der Stadt ausgesucht hatte. Sie wollte nicht länger als nötig verweilen, doch hatte sie versprochen, die verletzte Frau zu beschützen, und ihre Mutter hatte ihr beigebracht, dass man seine Versprechen hielt. Die Große Weberin hatte kein Verständnis für Leute, die ihres brachen.

Die grobgewebte Tasche über ihrer Schulter war voller Essen; geräuchertem Fleisch, Hafer, Brot, Käse und zwei Schläuchen voller Ziegenmilch. Mehr als sie selbst brauchte, doch es war nicht alles nur für sie. Das Gold, das sie in den Nähten ihrer Kleidung verborgen hatte, war fast aufgebraucht, doch sie hatte es nicht mehr weit. Sie konnte sich natürlich nicht sicher sein, doch hatte sie das Gefühl, dass sie mit jedem Schritt ihren Eltern näher kam und sie schon bald wieder in ihre Arme schließen konnte. Danach würde sie kein Gold mehr benötigen, denn alles, was sie brauchte, würde dann in ihrem Zelt sein.

Taliyah war so in diese angenehme Vorstellung vertieft, dass ihr der große Mann erst auffiel, als sie in ihn hineinrannte. Sie prallte von seinem bewegungslosen Körper ab und landete auf dem Rücken.

Sie fühlte sich, als wäre sie gegen eine Felswand gelaufen, die kein bisschen nachgab. Die Leute im Souk waren schlauer als sie. Sie umgingen ihn wie Wasser, das im Fluss um einen Stein herumfließt. Er war von Kopf bis Fuß in Lumpen gehüllt, die seine enorme Größe kaum verbergen konnten. Er hielt einen langen, in Stoff gewickelten Stab fest in der Hand, dessen breites Ende ebenfalls in Lumpen steckte. Vielleicht musste er sich auf ihn stützen, denn seine Beine schienen seltsam gewinkelt.

„Verzeihung“, entschuldigte sie sich und sah auf. „Ich habe dich nicht gesehen.“

Er sah auf sie hinab, sein Gesicht war unter einer langen Kutte verborgen, doch antwortete nicht. Er hielt ihr seine Hand hin, deren Finger in Bandagen gewickelt waren wie bei einem Pestkranken. Taliyah zögerte einen Augenblick und nahm dann die dargereichte Hand.

Er zog sie mühelos hoch und sie konnte einen Goldschimmer unter dem staubigen Stoff seiner Robe sehen, bevor er seine Hände wieder in den langen Ärmeln verschwinden ließ.

„Danke“, sagte Taliyah.

„Du solltest aufpassen, wo du hintrittst, Kleine“, erwiderte er mit erstaunlich klingender Stimme. Sie schien aus einem tiefen Brunnen voller Trauer in seinem Inneren zu kommen und hatte einen schweren Akzent. „Shurima ist ein gefährlicher Ort geworden.“

Er blickte dem jungen Mädchen hinterher, wie es im Souk verschwand, und drehte sich wieder zu den rissigen Mauern von Vekaura um. Die gigantischen Blöcke reichten ihm nur bis zum Kopf und die oberen Schichten waren aus sonnengebackenen Ziegeln geformt, die passend gestrichen worden waren. Die Leute von Vekaura musste das beeindrucken, doch in seinen Augen handelte es sich nur um eine armselige Kopie.

Er schritt durch das Tor und besah sich den plump eingepassten Stein über ihm. Ein Wasserverkäufer, der in der Mitte einer Messingkonstruktion mit drehenden Rädern stand, die sandiges Wasser in grüne Glasflaschen abfüllte, sah auf, als er vorbeiging.

„Wasser? Frisch von der Mutter des …“, begann er, doch die Worte blieben ihm angesichts der hochragenden Gestalt vor ihm im Halse stecken.

Er wusste, dass er weitergehen musste. Die Worte, die mit Blut auf den Turm des Astrologen geschmiert worden waren, hatten ihn hierher geführt und der Magier würde auch bald an diesen Ort kommen. Er spürte die Anwesenheit von jemandem aus der Blutlinie der Aufgestiegenen in Vekaura. Jemandem, der seinen Stammbaum bis zu den Tagen zurückverfolgen konnte, bevor das Reich untergegangen war, das sich einst von Ozean zu Ozean und darüber hinaus erstreckt hatte. Es war von großer Bedeutung diese Person noch vor seinem Feind aufzutreiben, denn das alte shurimanische Blut war selten und mächtig. Es hatte Azir Azir von den Toten zurückgeholt und in den falschen Händen würde es für das neugeborene Shurima den Untergang bedeuten.

Ja, er musste weiter – doch er regte sich nicht.

„Du betreibst dein Geschäft zwischen den Geistern der Vergangenheit“, stellte er fest.

„Geister?“, sagte der Verkäufer verwirrt und Angst schwang in seiner Stimme.

„Dieser Torbogen“, erwiderte er und klopfte mit seinem Stab gegen die Decke des Bogens. Staub rieselte in feinen Schleiern durch die Bodenspalten, als Leute über die Befestigungen über ihnen liefen. „Verbannte Handwerker aus dem verlorenen Icathia haben ihn gebaut. Jeder Stein wurde so behauen und eingepasst, dass nicht ein Tropfen Mörtel nötig war, um ihn an Ort und Stelle zu halten.“

„Ich … das wusste ich nicht.“

„Ihr Sterblichen vergesst die Vergangenheit und überlasst das, was in Erinnerung bleiben sollte, Legenden“, brummte er. Die Bitterkeit, die sich in den Jahrhunderten des Herumirrens in der Wüste angestaut hatte, verwandelte sich in Wut. „Habe ich nicht die große Bibliothek errichtet, um solchem Vergessen entgegenzuwirken?“

„Bitte, großer Herr“, bat der Wasserverkäufer und presste sich mit dem Rücken an die Mauer des Torbogens. „Ihr sprecht von Mythen aus der alten Zeit.“

„Für dich vielleicht, doch ich kam hierher, als die Mauern gerade erst gebaut waren, Zweihundert Fuß polierter Marmor, jeder Stein makellos und mit Gold durchzogen. Mein Bruder und ich betraten die Stadt triumphierend an der Spitze von Zehntausend Soldaten in goldener Rüstung mit blitzenden Speeren. Wir marschierten zum ausgelassenen Jubel der Stadtbevölkerung durch dieses Tor.“

Er stieß einen grollenden Seufzer aus, bevor er fortfuhr. „Ein Jahr später war nichts mehr davon übrig. Es war das Ende von allem. Oder vielleicht war es der Anfang. Ich habe der Welt schon so lange den Rücken zugewandt, dass ich das nicht länger beurteilen kann.“

Der Wasserverkäufer erbleichte und kniff in einem Versuch, das Dunkel unter der Kutte zu durchdringen, die Augen zusammen. Dann riss er die Augen weit auf.

„Ihr seid der verlorene Sohn der Wüste“, stieß er hervor. „Ihr seid … Nasus.

„Das bin ich“, erwiderte Nasus, drehte sich um und betrat die Stadt. „Doch gibt es jemanden, der noch viel verlorener ist als ich.“

Nasus folgte der Menge durch die Stadt und auf den Tempel in ihrem Herzen zu, und versuchte, ihr Starren zu ignorieren. Seine beeindruckende Statur hätte auch so Aufmerksamkeit erregt, doch der Wasserverkäufer hatte seine wahre Identität mit Sicherheit bereits überall verkündet. Shurima war schon immer ein Ort voller Geheimnisse gewesen, doch blieben sie gewöhnlich nicht lange verborgen. Er wäre überrascht, wenn nicht die gesamte Stadtbevölkerung seinen Namen kannte, bis er das Stadtzentrum erreicht hatte. Ja, es war töricht gewesen, anzuhalten, doch die mangelnden Geschichtskenntnisse des Verkäufers hatten den Gelehrten in Nasus gekränkt.

Wie auch schon die Mauer und der Torbogen war das Innere von Vekaura ein Schatten seines früheren Selbst. Azirs Mutter war hier geboren worden und der junge Imperator hatte die Menschen, die hier lebten, immer sehr wohlwollend behandelt. Abgestufte Gärten und Blumen, die aus allen Ecken des Reiches herbeigeschafft wurden, hatten die Gebäude mit intensiven Farben verziert und die Luft mit wundervollen Düften erfüllt. Ihre Türme hatten silbern und jadefarben geglänzt und kühles Wasser war vom großen Tempel her geflossen und große Aquädukte entlang geronnen in dem naiven Glauben, dass die Zeit des Überflusses nicht zu Ende gehen würde.

Im Laufe der Jahrtausende war das offengelegte Steinskelett der Stadt abgetragen worden und aus einst prächtigen Gebäuden waren Ruinen geworden. Auf diese Ruinen hatten im Verlauf der letzten paar Jahrhunderte diejenigen gebaut, die immer noch an den alten Traditionen hingen und glaubten, dass ihre Zukunft gerettet werden konnte, wenn sie die Vergangenheit ehrten. Wie Nasus der immer größer werdenden Menge folgte, erblickte er nur unbeholfene Nachahmungen einer längst vergessenen Erinnerung.

Gebäude, die von Meisterhandwerkern geplant worden waren, waren nun schiefe und plumpe Parodien ihres alten Selbst. Mauern, die einst aus quadratischen Granitblöcken geformt waren, waren aus Holz und rohförmigen Klötzen neuerrichtet worden. Die ursprüngliche Anordnung der Stadt war immer noch vorhanden, doch Nasus hatte das Gefühl, durch einen Albtraum zu gehen, in dem einst vertraute Umgebungen seltsam verschoben waren, alles seine ursprüngliche Form verloren hatte und neugestaltet worden war, um zu beklemmen.

Er hörte murmelnde Stimmen um sich herum, seinen Namen in gedämpftem Flüsterton, doch er schenkte dem keine Beachtung, sondern bog um eine Ecke und betrat endlich den offenen Platz im Herzen der Stadt. Seine klauenförmigen Hände formten sich zu Fäusten, als er sah, was die Bewohner von Vekaura im Herzen der neuerbauten Stadt errichtet hatten.

Einen Sonnentempel aus gemeißeltem Sandstein und nacktem Fels. Dieser Tempel, von Menschenhand mit menschlichen Maßstäben erbaut, war eine kindliche Imitation des prunkvollen Gebäudes im Herzen des shurimanischen Reiches. Der große Tempel hatte den Neid Valorans auf sich gezogen und Architekten von weit entfernten Königshöfen waren Tausende Meilen weit gereist, um ihn zu sehen. Und so erinnerte man sich an ihn? Was für eine Beleidigung!

Die Mauern waren schwarz und glänzten wie Basalt, doch Nasus konnte die unebenen Verbindungen zwischen den Paneelen sehen, wo sie am rauen Stein befestigt worden waren. Eine Sonnenscheibe schimmerte auf dem Tempel, doch selbst von hier konnte Nasus erkennen, dass sie aus einer Bronze-Messing-Legierung gegossen worden war und nicht aus Gold. Und sie schwebte auch nicht wie die Scheibe, unter der Nasus seine derzeitige Gestalt erlangt hatte. Stattdessen waren geflochtene Seile zu beiden Seiten an asymmetrische Säulen gebunden worden, um die Scheibe in der Luft zu halten.

Ein Teil von Nasus wollte gegen diese Leute wüten, sie dafür hassen, dass sie dem Reich, für das er und unzählige andere gekämpft und geblutet hatten, dieses hässliche Denkmal gesetzt hatten. Er wollte sie wachrütteln und ihnen klarmachen, was sie entweihten, indem sie auf die Pracht der Vergangenheit gebaut hatten. Doch sie teilten sein Wissen nicht, hatten nicht durch seine Augen gesehen und er konnte sie nicht aufklären.

Ein in Federn gekleideter Oberpriester stand mit erhobenen Armen betend vor der Scheibe, doch seine Worte gingen im Lärm der Stadt unter.

War er derjenige, nach dem er gesucht hatte?

Er überquerte den Platz in Richtung Tempel mit entschlossenen Schritten und bemerkte ungleichmäßige Stufen, die in alle vier Ecken gehauen waren. Zwei Krieger, die in körpergerechte Bronzestreifen und Federhelme gekleidet waren, die Tiere imitieren sollten, bewachten den Bereich um die Stufen herum und drehten sich zu ihm, als sie ihn sahen. Nasus geriet ins Wanken, als er erkannte, was genau die Helme repräsentieren sollten. Beide hatten längliche Schnauzen; der eine stellte einen unbeholfenen Krokodilkiefer dar, während das Visier des anderen zu einem Zähne fletschenden Schakalkopf geformt war.

Sie richteten ihre Speere auf ihn, als er näherkam, doch waren vollkommen entgeistert, als er seine Robe abstreifte und sich zu voller Größe aufrichtete. Er war zu lange vornüber gebeugt und verschämt durch die Welt der Sterblichen gewandert, und hatte seine Gestalt verborgen. Zu lange hatte er sich versteckt gehalten und in trostloser Abschottung Buße getan, doch die Tage des Schattendaseins waren vorüber. Nasus wollte sein wahres Gesicht nicht länger verbergen.

Er war ein mächtiges, magisches Wesen, ein Aufgestiegener aus einem Zeitalter, als solche Helden noch unter den Sterblichen weilten, und ragte über den Wachen. Sein Körper war durch die Magie der Sonnenscheibe emporgehoben und neugeschaffen worden, sein aufgezehrter, sterbender Körper in einen schakalköpfigen Halbgott aus Obsidian verwandelt worden. Eine mit Bändern verzierte, goldene Rüstung, die über die Jahre matt geworden war, umschloss seine Schultern und Brust. Votivstreifen, in die die Siegel von Shurima geprägt worden waren, verzierten sie zusätzlich. Er streckte seinen Arm aus und nahm die Stoffhülle von seinem Stab ab, um eine langstielige Kriegsaxt zu enthüllen. Ihre Klinge schimmerte in freudiger Erwartung und der meeresblaue Edelstein in ihrer Mitte nahm gierig das Sonnenlicht auf.

„Geht zur Seite“, befahl Nasus.

Den Wachen rutschte das Herz in die Hose, doch sie ergriffen nicht die Flucht. Nasus seufzte und schwang seine Axt in einem ausladenden Bogen. Das Ende erfasste die erste Wache im Aufwärtsschwung und schleuderte sie dreißig Fuß zurück. Der Gegenschlag warf den zweiten Wächter in den Staub, wo er vor Schmerzen stöhnte, als Nasus seinen klauenbewehrten Fuß auf die unterste Stufe setzte.

Er stieg nach oben, wo die Sonne auf dem mitgenommenen Metall der Scheibe schimmerte. Währenddessen ließ er seinen Blick über die bröckelnden Stadtmauern von Vekaura schweifen. Ein glattes Meer aus brachliegenden Dünen erstreckte sich auf drei Seiten bis zum Horizont. Im Osten der Stadt stieg das Land beständig an und wurde zu zerfurchten Hügeln eigensinniger Erde, auf denen zähe Wüstenpalmen und dicke Bhanavar-Bäume wuchsen, deren Wurzeln sich Hunderte Fuß tief unter den Sand gruben, um Wasser zu finden.

Der Anblick Shurimas als leeres Ödland machte Nasus traurig, der zurück an die Zeit dachte, als die Mutter des Lebens das Land genährt hatte und es vor Leben nur so strotzte. Vielleicht würde Azir Shurima wieder Leben bringen, vielleicht auch nicht, und deshalb war es so wichtig, denjenigen zu finden, der der Blutlinie angehörte.

Weitere Wachen kamen auf den Tempel hinauf und riefen sich Dinge in einer Sprache zu, die Alt-Shurimanisch viel verdankte, doch die Schönheit und Komplexität dieser verlorenen Zunge missen ließ.

Nasus erinnerte sich an den Schmerz und die Angst, die er verspürt hatte, als er zum letzten Mal in Vorbereitung auf sein Ritual des Aufstiegs den großen Tempel hinaufgestiegen war. Die Krankheit, die ihn dahinraffte, hatte ihm jegliche Kraft geraubt und er war zu schwach gewesen, um selbst zu gehen, so dass ihn sein jüngerer Bruder getragen hatte. Als sie oben angekommen waren, stand die Sonne fast in ihrem Zenit und seine Lebenskraft rieselte aus ihm heraus wie Sand aus einer gesplitterten Sanduhr. Er hatte Renekton angefleht, zu gehen und ihn alleine der Sonne entgegentreten zu lassen, doch Renekton hatte nur seinen Kopf geschüttelt und die letzten Worte geflüstert, die sie als Sterbliche getauscht hatten, bevor die Sonnenscheibe sie beide zu Aufgestiegenen gemacht hatte.

Ich werde bis zum Ende bei dir sein.

Selbst jetzt hatten diese Worte die Kraft, ihn zu verletzen, und schnitten tiefer als jede Klinge. Als Sterblicher war Renekton unvorhersehbar gewesen, neigte manchmal zu Gewalttätigkeit und Grausamkeit, doch konnte er auch Edelmut und Tapferkeit beweisen. Die Kraft, die der Aufstieg ihm verliehen hatte, hatte ihn zu einem mächtigen Wesen gemacht und am Ende war es Renekton gewesen, der den verräterischen Magier in das Grab der Imperatoren gezwungen und sich selbst geopfert hatte, um Shurima zu retten.

Shurima retten ...?

Hatte irgendetwas, das sie an jenem Tage vollbracht hatten, Shurima gerettet? Azir war gestorben, ermordet durch seinen alten Freund aus Kindertagen, und die Stadt war dem Erdboden gleichgemacht worden, als die unkontrollierte Magie des fehlgeschlagenen Rituals des Aufstiegs sie unter dem Wüstensand begraben hatte. Er durchlebte den Augenblick, in dem er die Tore des Grabes hinter Renekton und Xerath versiegelte, jeden Tag aufs Neue, wohl wissend, dass er keine andere Wahl gehabt hatte. Doch die Schuld lastete dennoch schwer auf ihm.

Jetzt waren Xerath und Renekton wieder frei. Azir hatte den Tod irgendwie bezwungen und war ein Aufgestiegener geworden, und durch seinen Willen war Shurima neuerstanden. Die uralte Stadt hatte sich aus ihrer sandigen Grabstätte erhoben und den müden Staub ihres Jahrtausende langen Schlafes abgeschüttelt. Doch wenn die Geschichten stimmten, die man sich in der Wüste erzählte, war der Renekton, den Nasus gekannt und geliebt hatte, nicht mehr. Er war nun nichts weiter als ein wahnsinniger Mörder, der im Namen der Rache gnadenlos alles und jeden abschlachtete.

„Und ich habe dich dort eingesperrt“, ächzte Nasus.

Als er oben ankam, bemühte er sich, die Gedanken daran zu verdrängen, was aus seinem Bruder geworden war: ein Monster, das den Namen „Nasus“ über die sengenden Sande der Wüste brüllte.

Ein Monster, dem er sich letzten Endes würde stellen müssen.

Nasus erreichte die Spitze des Tempels, die geweihten Papierstreifen flatterten um seine Arme und Gürtel. Er ließ den Stiel seiner Axt auf dem rauen Stein ruhen und nahm sich einen Augenblick Zeit, um seine Umgebung zu überblicken.

Das Sonnenlicht wurde von der Sonnenscheibe gebrochen zurückgeworfen, da die Bearbeitung des Metalls roh und unpoliert war. Die geflochtenen Seile waren aus der Nähe einfach nicht zu übersehen, und die Plumpheit der Arbeit, die die Leute von Vekaura geleistet hatten, stach ins Auge. Das Dach war nicht verziert. Es gab keinen Altar, in den das Himmelsgewölbe oder die Himmelsrichtungen geschnitzt waren, keine Abbilder der Helden, die von seiner geweihten Fläche aus aufgestiegen waren.

Zehn Krieger in staubigen Umhängen und überlappenden Bronzestreifen standen zwischen Nasus und dem Oberpriester. Der Priester war ein großer, schlanker Mann in einer langen Robe mit schillernden Federn, breiten, schwingenhaften Ärmeln und einer Kapuze, die einem Schnabel glich, der schwarz war wie Ebenholz. Das Gesicht unter der Kapuze war nobel, streng und unerbittlich.

Genau wie Azir.

„Ihr seid Nasus?“, fragte der Oberpriester. Die Stimme des Mannes war tief und achtunggebietend, fast königlich, doch Nasus konnte seine Furcht heraushören. Es war eine Sache, zu behaupten, von Göttern abzustammen, doch eine ganze andere, einem gegenüberzustehen.

„Deine Frage sagt mir, dass ich schon viele zu lange weg war. Ja, ich bin Nasus. Doch, was viel wichtiger ist, wer bist du?“

Der Oberpriester plusterte sich auf wie ein Vogel, der sich für die Balz zurechtmacht. „Ich bin Azrahir Thelamu, Nachkomme des falkenköpfigen Imperators, Erste Stimme von Vekaura, der Erleuchtete, Der im Licht geht und Bewahrer des heiligen Feuers. Bringer des Morgens und …“

„Nachkomme des falkenköpfigen Imperators?“, unterbrach ihn Nasus. „Du behauptest, von Imperator Azir abzustammen?“

„Ich behaupte das nicht, das ist die Wahrheit“, sagte der Oberpriester gereizt und eine Spur Selbstvertrauen kehrte in seine Stimme zurück. „Sagt mir jetzt, was Ihr wollt.“

Nasus nickte und wirbelte seine Axt mit beiden Händen herum, bis er sie parallel zum Boden hielt.

„Dein Blut“, verkündete er.

Er ließ das Ende seiner langstieligen Axt auf den Steinboden fahren und eine Sandwolke erhob sich vom Dach. Dort hing sie wie ein schimmernder Schleier und kreiste behäbig um den Oberpriester und seine Krieger.

„Was tut Ihr da?“, wollte der Priester wissen.

„Ich habe dir doch gesagt, dass ich dein Blut sehen muss.“

Plötzlich wurde der schwebende Sand zu einem röhrenden Wirbelsturm. Die Krieger erhoben ihre Arme, um ihre Gesichter gegen den peitschenden Sandsturm zu schützen, und der Oberpriester beugte sich geblendet und hustend nach vorne. Der Sandsturm tobte mit dem gesamten Zorn der Wüstenwinde, die eine Herde Eka’Sul in Minuten bis auf ihre Knochen abscheuern konnten. Rüstung bot keinen Schutz, der Sand drang in jede noch so kleine Ritze und rieb die Haut darunter ab. Die Sonnenscheibe schwang vor und zurück in den Winden, die Nasus herbeirief, und die Halteseile spannten sich an den Eisenringen, die im Stein befestigt waren.

Er ließ sich vom Zorn des Sandes erfüllen, durch seine Glieder strömte Energie und sein Körper schwoll an, als die Wut der Wüste sich in seinem dunklen Fleisch manifestierte. Seine Gestalt wurde größer und größer, überragend und monströs, wie es der erste Aufgestiegene angeblich auch gewesen war.

Nasus griff ohne Vorwarnung an, knüppelte sich seinen Weg durch die Wachen und schmetterte sie mit dem Stiel der Axt oder der flachen Seite der Klinge beiseite. Er wollte keinen dieser Männer töten, da sie alle Söhne Shurimas waren, doch sie standen ihm im Weg.

Er trat über ihre sich windenden, stöhnenden Körper auf den Oberpriester zu. Der Mann hatte sich zusammengerollt und hielt seine blutigen Hände hoch, um sein Gesicht zu schützen. Nasus griff nach unten und hob ihn so mühelos am Kragen empor, wie ein Hund einen Welpen. Die Füße des Oberpriesters baumelten einen Fuß über dem Boden, als Nasus ihn auf Augenhöhe brachte.

Die Haut des Oberpriesters war rot und rau, wo der Sand sie abgescheuert hatte, und blutige Tränen rannen ihm die Wangen hinunter. Nasus trat näher an die Sonnenscheibe heran. Sie war zwar nicht echt, noch nicht einmal aus Gold, doch reflektierte sie das Sonnenlicht und das musste reichen.

„Du sagst, dass du von Azir abstammst?“, brummte er. „Dann sehen wir doch mal, ob das auch wahr ist.“

Er drückte das Gesicht des Oberpriesters gegen die Sonnenscheibe und der Mann schrie auf, als das brennend heiße Metall seine ungeschützte Haut verbrannte. Nasus ließ den wimmernden Mann fallen und starrte auf das zischende Blut, das die Scheibe in roten Rinnsalen hinunterlief. Das Blut vertrocknete bereits zu einer braunen Kruste und sein Geruch stieg ihm in die Nase.

„Dein Blut gehört nicht der Blutlinie der Aufgestiegenen an“, stellte Nasus betrübt fest. „Du bist nicht der, den ich suche.“

Er kniff die Augen zusammen, als er einen glühenden, blauen Schimmer von etwas auf der Oberfläche der Scheibe wahrnahm, das noch weit entfernt sein musste.

Nasus drehte sich um und sah zum Horizont. Eine Wolke war zu sehen, Staub, aufgewirbelt von den Füßen marschierender Männer. Er sah das Sonnenlicht durch den Staub auf den Speerspitzen und den Rüstungen glitzern. Er hörte das Dröhnen der Kriegstrommeln und schrille Pfeifen der Kriegshörner. Trampelnde Kreaturen tauchten aus der wirbelnden Wolke auf, röhrende Kriegsbestien, die an verknoteten Seilen geführt und von Männern mit stacheligen Treibstöcken gelenkt wurden. Sie waren durch verkalkte Hautplatten geschützt und ihnen wuchsen geschwungene Stoßhörner, so dass sie lebenden Rammböcken glichen, die ohne große Anstrengung die ohnehin schon brüchigen Mauern von Vekaura niederreißen konnten.

Hinter den Kriegsbestien wurde eine Reihe von Kriegsbanden sichtbar, die unter einer Vielzahl an geschnitzten Stammestotems auf die Stadt zukamen. Mindestens Fünfhundert an der Zahl: leichtgerüstete Plänkler, schreiende, berittene Bogenschützen und Kämpfer mit schuppigen Schilden und schweren Äxten. Nasus spürte die Berührung eines beherrschenden Willens auf ihnen. Viele dieser Stämme wären sich normalerweise bei Sichtkontakt gegenseitig an die Kehlen gegangen.

Nasus spürte, wie ein uralter Zauber gewirkt wurde, und ein metallener Geschmack flutete seine Kiefer. Seine Sinne schärften sich. Er hörte das Gebrabbel von Hunderten von Stimmen unter ihm, sah jeden noch so geringen Makel an der Bronzescheibe und fühlte jedes Sandkorn unter den schrägen Klauen seiner Füße. Der scharfe Geruch von Blut, das erst kürzlich gestoppt worden war, stach ihm in die Nase. Es trug den Hauch der alten Tage und entfernte Echos eines Zeitalters, das lange verloren war, mit sich. Das Blut rief ihn irgendwo vom Osten der Stadt her, ganz am Rande, wo die Ruinen in die bewaldeten Hügel übergingen.

Über dem Getümmel sah Nasus die Quelle der erwachenden Magie schweben: ein Wesen aus knisternder Energie und dunkler Magie, das in kalte Eisenketten und die Splitter eines uralten Sarkophags gehüllt war. Ein Verräter am shurimanischen Volk und der Drahtzieher hinter dem Untergang des alten Reiches.

„Xerath“, keuchte Nasus.

Das baufällige Haus am östlichen Rand von Vekaura war am Einfallen, hatte kaum mehr ein Dach und war knöcheltief im Sand versunken, doch standen seine vier Wände noch und die überhängenden Bäume boten während der heißen Tageszeit Schatten. Taliyahs Rucksack lehnte in einer Ecke, griffbereit zur Abreise, wie er es immer tat. Schläuche mit Wasser und Ziegenmilch hingen an seiner Seite und sie hatte genug getrocknetes Fleisch für ein paar Wochen gepackt zusammen mit ihrer Kleidung und Säckchen voller Steine und Kiesel aus ganz Valoran.

Taliyah kniete neben der verletzten Frau, die im Schatten lag, und entfernte den Verband von ihrer Seite. Sie zuckte beim Anblick des verkrusteten Blutes um die Stiche, mit der sie die tiefe Wunde genäht hatte, zusammen. Es sah aus, als hätte sie ein Schwert verursacht, doch sie war sich nicht sicher. Taliyah hatte der Frau ihre Rüstung ausgezogen und sie so gut sie konnte gebadet. Abgesehen von der beinahe tödlichen Wunde an seiner Seite, war der Körper der Frau eine Ansammlung bleicher Narben. Sie stammten aus einem Leben voller Kämpfe und waren bis auf eine alle an der Vorderseite zu finden. Wer auch immer diese Frau war, nur ein einziger Gegner war ihr nicht von Angesicht zu Angesicht begegnet. Taliyah wechselte den Verband und ihre Patientin ächzte vor Schmerz. Ihr schlafender Körper versuchte zu heilen, nachdem sie die Große Weberin weiß wie lange draußen in der Wüste gelitten hatte.

„Du bist eine Kämpferin“, flüsterte Taliyah ihr zu, „das sieht man dir an. Also kämpfe um dein Leben.“

Taliyah hatte keine Ahnung, ob die Frau hörte, was sie sagte. Aber vielleicht halfen ihre Worte der Seele der Frau, in ihren Körper zurückzufinden. Auf jeden Fall war es schön, jemanden zum Reden zu haben. Auch wenn sie keine Antworten bekam, wenn man einmal von dem Gemurmel über Imperatoren und den Tod absah.

Seit sie Yasuo Yasuo in Ionia Tip Ionia zurückgelassen hatte, hatte Taliyah versucht, Gesellschaft zu meiden. Sie war immer in Bewegung geblieben und hatte nie länger als nötig an einem Ort verweilt. Sie war bereits länger als geplant in Vekaura. Eigentlich hatte sie nur kurz ihre Vorräte auffüllen wollen, doch sie konnte nicht weg, solange die Frau noch bewusstlos war. Sie wollte unbedingt ihre Familie finden, doch die Große Weberin lehrte, dass sie alle im Auf und Ab des Geflechts des Lebens verbunden waren. Wenn man einen Faden ausfransen ließ, hatte das mit der Zeit Einfluss auf alle. Also war Taliyah geblieben und hatte das Versprechen gehalten, das sie der verwundeten Frau gegeben hatte. Doch jeder Augenblick, den sie nicht mit der Suche nach ihrer Familie zubrachte, tat ihr in der Seele weh.

Taliyah strich der Frau die dunklen Haare von der fiebrigen Stirn und betrachtete ihr Gesicht. Sie versuchte sich vorzustellen, warum sie verwundet und halbvergraben in einer Sanddüne am Rande der Sai gelegen hatte. Sie war hübsch und hatte doch eine Härte an sich, die ihr nicht einmal die Bewusstlosigkeit vollkommen nehmen konnte. Ihre sonnengebräunte Haut war typisch für eine Shurimanin und wenn ihre Augenlieder ab und zu aufflatterten, konnte Taliyah ihre stechenden, blauen Augen sehen.

Sie seufzte und flüsterte: „Ich kann nicht wirklich viel tun, bis du aufwachst.“

Taliyah hörte eine dumpfen Knall von Westen her. Sie trat auf das Fenster zu, da sie das untrügliche Geräusch von aufeinander mahlenden Steinen hörte. Zuerst hielt sie es für ein Erdbeben, doch es klang eher nach einer Lawine, und sie hatte in ihrem Leben bereits die eine oder andere miterlebt. Wenn sie an die Gebäude in Vekaura dachte, würde es sie allerdings auch nicht überraschen, wenn das Geräusch ein einstürzendes Haus war. Sie hoffte, dass niemand verletzt wurde.

„Was ist hier los …? Wo bin ich?“

Taliyah drehte sich um, als sie die Stimme der Frau hörte. Sie hatte sich aufgesetzt, sah sich um und tastete nach etwas.

„Du bist in Vekaura“, erklärte Taliyah. „Ich habe dich draußen gefunden, verblutet und halbtot.“

„Wo ist meine Klinge?“, wollte die Frau wissen.

Taliyah deutete auf die Wand hinter ihr, wo die seltsame Waffe der Frau in ihre Schlinge aus gekochtem Leder gewickelt und unter einem gewebten Tuch mit miteinander verbundenen Vogelmotiven versteckt war.

„Da drüben“, sagte Taliyah. „Die Klingen sind so scharf und ich wollte vermeiden, aus Versehen über sie zu stolpern und mir den Fuß abzuhacken.“

„Wer bist du?“, fragte die Frau misstrauisch.

„Ich bin Taliyah.“

„Kenne ich dich? Will dein Stamm mich tot sehen?“

Taliyah runzelte die Stirn. „Nein, das glaube ich nicht. Wir sind Hirten. Weber und Reisende. Wir wollen eigentlich niemanden tot sehen.“

„Dann seid ihr einer der wenigen, die das nicht wollen“, bemerkte die Frau trocken. Sie atmete langsam aus und Taliyah konnte fast fühlen, wie schrecklich ihre Seite schmerzen musste. Sie setzte sich erneut auf und zog eine Grimasse, als die Fäden der Wunde sich anspannten.

„Warum möchte dich überhaupt jemand tot sehen?“, erkundigte sich Taliyah.

„Weil ich sehr viele Leute getötet habe“, antwortete die Frau und versuchte, sich aufzusetzen. „Manchmal wurde ich dafür bezahlt. Manchmal waren sie mir im Weg. Doch seit Neuestem, weil sie sehr wütend werden, wenn ich ihnen sage, dass ich nicht zurückgehe.“

„Wohin zurück?“

Die Frau richtete ihre stechenden blauen Augen auf Taliyah und sie konnte erkennen, wie aufgewühlt sie wirklich war und welche Schmerzen sie litt.

„Die Stadt“, sagte sie. „Die Stadt, die sich aus dem Sand erhoben hat.“

„Dann ist es also wahr“, fragte Taliyah atemlos. „Das alte Shurima ist wiedererstanden? Du hast es gesehen?“

„Mit meinen eigenen Augen“, erwiderte die Frau. „Sehr viele Leute haben sich bereits auf den Weg gemacht. Ich habe vor allem Stämme aus dem Osten und Süden gesehen, doch andere werden ihnen folgen.“

„Die Leute gehen dorthin?“

„Jeden Tag mehr.“

„Warum willst du nicht zurück?“

„Deine Fragen ermüden mich.“

Taliyah zuckte mit den Achseln. „Fragen sind die ersten Schritte auf dem Weg zur Erkenntnis.“

Die Frau lächelte und nickte. „Guter Einwand. Aber sei vorsichtig, wen du befragst. Einige Leute beantworten Fragen mit einer Klinge.“

„Tust du das auch?“

„Manchmal, aber da ich dir mein Leben schulde, mache ich eine Ausnahme.“

„Dann möchte ich noch eine Sache wissen.“

„Was denn?“

„Deinen Namen.“

„Sivir“, antwortete die Frau mit vor Schmerzen zusammengebissenen Zähnen.

Taliyah kannte den Namen. Es gab in Shurima nur wenige, die das nicht taten, und sie hatte bereits eine Ahnung gehabt, als sie ihre Kreuzklinge gesehen hatte. Bevor sie etwas erwidern konnte, übertönte ein neues Geräusch das Poltern herabfallender Steine. In ihrer Heimat hörte man nur sehr selten etwas Vergleichbares, doch an den Küsten von Ionia, in den Bauen von Noxus und im eisigen Ödland von Freljord hatte sie es mehr als genug zu Ohren bekommen.

Taliyah beäugte ihren Rucksack und überschlug im Kopf, wie lange sie brauchen würde, aus Vekaura zu entkommen. Sivir hörte das Geräusch ebenfalls und schwang in einem Versuch aufzustehen ihre Beine nach oben. Die Anstrengungen waren fast zu viel für sie und sie ächzte. Schweiß perlte auf ihrer Stirn.

„Du bist nicht in der Verfassung, irgendwo hinzugehen“, sagte Taliyah sanft.

„Kannst du das hören?“, wollte Sivir wissen.

„Natürlich“, erwiderte Taliyah. „Das klingt, als würden sehr viele Leute schreien.“

Sivir nickte. „Genau das ist es.“

Vom Himmel regnete es Feuer.

Xerath sandte mit ausgebreiteten Armen Kometen aus weißblauen Flammen Kometen aus weißblauen Flammen aus, die wie Steinbrocken aus einer Kriegsmaschine in hohem Bogen flogen. Der erste traf auf dem Marktplatz auf und explodierte wie ein gefallener Stern. Sengendes Feuer detonierte beim Aufprall. Brennende Körper wurden wie geschwärztes Reisig durch die Luft geschleudert. Feurige Winde trugen Xeraths gehässiges Lachen, ein zeitloser Wahnsinn, der sich an dem Leid anderer labte.

Wie hatte ich die Bosheit in ihm nicht sehen können?

Nasus hörte Schreie über der Stadt aufsteigen und die Wut, die er gegenüber diesen Leuten empfunden hatte, verschwand wie der Morgennebel über einer Oase. Die Stadtmauern wurden von den Kriegsbestien zerschmettert, die sich blind vor Schmerz aufbäumten und mit bebender Kraft über den Boden stampften. Leichtgerüstete Krieger strömten über den Schutt in die Stadt. Sie heulten ein Dutzend verschiedene Kriegsschreie und konnten es kaum erwarten, das Abschlachten zu beginnen.

Nasus wirbelte seine Axt herum und stieg die Stufen des Tempels hinab. Er nahm vier Stufen auf einmal, bis er zurück auf dem Boden war. Hunderte von Leuten drängten vom westlichen Rand der Stadt auf den Hauptplatz, in ihren Adern floss nackte Furcht. Blutdürstiges Brüllen und Waffengeklirre folgten ihnen auf dem Fuß. Die panischen Bürger suchten in den Gebäuden um den Platz Zuflucht, verbarrikadierten Türen und verriegelten Fensterläden in der Hoffnung, dass sie das in Sicherheit bringen würde. Nasus war bereits die blutigen Straßen von genügend eingenommenen Städten entlang gegangen, um zu wissen, wie brutal Krieger nach solchen Schlachten vorgehen konnten. Xerath würde jeden Mann, jede Frau und jedes Kind in Vekaura der Klinge opfern.

Mehr Feuerbälle krachten wie Blitzschläge zu Boden und die Luft füllte sich mit Schreien und dem Geruch von verbranntem Fleisch. Stein zerbarst durch den Aufprall der magischen Attacke und fiel in Kaskaden aus geschmolzenem Gestein herab. Der Marktplatz stand in Flammen und schwarze Rauchsäulen verdreckten den Himmel.

Nasus drängte sich durch die panische Menge und bewegte sich stetig nach Osten. Er folgte der Spur des mächtigen Blutes, das er roch. Der Oberpriester war ein Betrüger gewesen, sein Blut schwach und verdünnt nach Tausenden von Jahren, doch derjenige, den er jetzt roch …? Der war stark. Er konnte Blut in einem Herz donnern hören, das in einer sterblichen Brust schlug. Diese Person stammte von Imperatoren und Kriegerköniginnen ab, Männer und Frauen mit überragendem Ehrgeiz und Stärke. Es war das Blut eines Helden.

Leute riefen seinen Namen, baten um Hilfe. Er ignorierte sie. Er musste einer höheren Berufung folgen. Die Sonne hatte ihn erneut dazu auserkoren, Shurima bis über den Tod hinaus zu dienen, für sein Volk zu kämpfen und es gegen ihre Feinde zu verteidigen. Er verfolgte nun diese Bestimmung, doch eine bekannte, stechende Schuld meldete sich in seiner Seele zu Wort, als er die Bewohner von Vekaura ihrem Schicksal überließ.

Wie viele mehr wirst du dem Tode überlassen?

Er verdrängte den Gedanken, schlängelte sich durch zerstörte Straßen, in denen Sandverwehungen den Weg versperrten. Die meisten Gebäude hier hatte die Wüste für sich beansprucht und sie waren nicht viel mehr als zerbröckelte Fundamente und abgeschliffene Stümpfe von quadratischen Säulen. Die Aasfresser der Wüste ergriffen die Flucht, als er dem klopfenden Herzschlag immer näher kam. Die Stadt wurde immer lichter, ihre Ruinen lagen immer tiefer unter dem gierigen Sand begraben.

Schließlich kam er zu einem eingefallenen Gebäude, das einst womöglich ein Badehaus gewesen war. Seine Wände waren dicker und stärker als die der anderen. Er zog den Kopf ein, als er es betrat, und roch im Inneren den Schweiß und das Blut von zwei Wesen. Ein junges, mit einer Seele, die so alt war, dass er das Gefühl hatte, einem Freund gegenüberzutreten, der unter der gleichen Sonne gewandelt war wie er.

Ein junges Mädchen trat aus der Türöffnung. Sie war in einen fließenden Mantel aus einem Land jenseits des östlichen Ozeans gekleidet und er erkannte das Mädchen wieder, mit dem er im Souk gesprochen hatte. Er spürte ihre Angst, doch ebenso ihre Entschlossenheit, als ihre Hände in kurvigen, kreisrunden Mustern durch die Luft fuhren, ganz so, als wolle sie eine Art naturalistische Magie wirken. Der Boden erzitterte, die Steine tanzten zu ihren Füßen und warfen ihren sandigen Überzug ab. Hinter ihr konnte Nasus eine Frau erkennen, die sich kaum auf den Beinen halten konnte und an den Wänden abstützte. Ihre Tunika war blutgetränkt. Eine schwere Wunde, doch noch war sie nicht tödlich.

„Ich bin Nasus, der Bewahrer des Sandes“, stellte er sich vor, doch ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen wusste sie bereits, wer er war. Dem Mädchen klappte allerdings vor Überraschung die Kinnlade herunter, sie regte sich aber nicht.

„Aus dem Weg, Mädchen“, wies Nasus sie an.

„Nein, du wirst ihr kein Leid antun. Ich habe ein Versprechen gegeben.“

Nasus wirbelte seine Axt herum und warf sie sich über die Schulter, als er einen Schritt nach vorne tat. Das Mädchen wich in die Ruine zurück, während der Boden zu ihren Füßen sich in kreisenden Mustern wellte. Steine erhoben sich vom Grund, als der Mörtel von den Wänden abblätterte. Risse spalteten das Gestein und arbeiteten sich geschwind nach oben zu den Überresten des Daches. Das letzte Mal, als er jemandem mit ähnlichen Fähigkeiten gegenübergestanden hatte, war er sterblich gewesen und es hatte ihn fast das Leben gekostet. Die verwundete Frau starrte das Mädchen erschrocken an. Sie hatte eindeutig keine Ahnung, zu was ihre Gefährtin fähig war.

„Du hast die Kraft, das Gestein von Shurima zu brechen“, stellte Nasus fest.

Sie zog eine Augenbraue nach oben. „Ja. Also verschwinde, bevor ich dich breche.“

Nasus musste ob ihrer Tapferkeit lächeln. „Du hast das Herz eines Helden, Mädchen, doch bist du nicht, wen ich suche. Deine Magie ist stark, also würde ich an deiner Stelle die Stadt verlassen, bevor Xerath sie dir entreißen kann.“

Sie erbleichte. „Ich gehe nirgendwo hin. Ich habe versprochen, Sivir zu beschützen, und die Große Weberin kann gebrochene Versprechen nicht leiden.“

„Wenn du sie beschützt, dann wisse, dass ich ihr kein Leid antun will.“

„Was willst du dann?“

„Ich bin hier, um sie zu retten.“

Die Frau mit dem Verband humpelte an die Seite des jungen Mädchens. Obwohl sie eindeutig große Schmerzen hatte, beeindruckte Nasus ihre Entschlossenheit. Allerdings stammte sie auch von der Blutlinie des alten Shurima ab und er hätte nichts anderes erwartet.

„Wer ist dieser Xerath?“, fragte sie.

„Ein dunkler Magier, der bereits zu viel von deiner Existenz weiß.“

Die Frau nickte und legte eine schwielige Hand auf die Schulter des jungen Mädchens.

„Ich schulde dir mein Leben, aber stehe nicht gerne bei jemandem in der Schuld“, meinte sie. „Also kannst du dein Versprechen als erfüllt ansehen. Ab jetzt übernehme wieder ich.“

Erleichterung zeichnete sich auf dem Gesicht des Mädchens ab, doch noch zögerte sie.

„Ich weiß das zu schätzen, aber du kannst dich kaum auf den Beinen halten“, entgegnete Taliyah. „Lass mich dir wenigstens helfen, aus der Stadt zu entkommen.“

„Abgemacht“, sagte Sivir dankbar, bevor sie sich wieder Nasus zuwandte. Sie schwang ihre Hand hinter ihrem Rücken hervor und enthüllte eine glitzernde Kreuzklinge aus Gold, in deren Mitte ein Smaragd funkelte. Sie hielt sie wurfbereit, doch kein gewöhnlicher Sterblicher könnte eine derartige Waffe mit solcher Leichtigkeit einsetzen.

„Ich habe es langsam satt, von Leuten gerettet zu werden“, brummte sie. „Jeder erwartet etwas im Gegenzug. Also sag mir, Großer, was willst du wirklich von mir?“

„Dich am Leben erhalten“, entgegnete Nasus.

„Das kann ich auch ohne deine Hilfe.“

„Diese Wunde an deiner Seite lässt mich an deinen Worten zweifeln. Du bist …“

„Die hier?“, unterbrach ihn Sivir verächtlich. „Nur eine Meinungsverschiedenheit mit ein paar Narren, die kein ‚Nein‘ als Antwort akzeptieren wollten. Glaub mir, ich habe schon Schlimmeres ausgehalten. Und ich muss nicht beschützt werden. Momentan scheint das Schicksal sich gut um mich zu kümmern, ganz egal was mir zustößt.“

Nasus schüttelte seinen Kopf. Wie wenig die Sterblichen vom Schicksal begriffen.

„Die Zukunft ist nicht in Stein gemeißelt“, erklärte er. „Sie ist vielmehr ein verzweigter Fluss, dessen Lauf sich jeden Moment ändern kann. Selbst diejenigen, deren Schicksal in den Sternen geschrieben steht, können die Wasser ihres Lebens in brachliegende Erde lenken, wenn sie nicht vorsichtig sind.“

Er deutete auf Sivirs Waffe und fragte: „Weißt du, wem diese Klinge einst gehörte?“

„Spielt das eine Rolle?“, fragte Sivir. „Jetzt gehört sie mir.“

„Das ist die Chalicar, die Klinge, die einst Setaka trug, die erste Kriegerkönigin des Heeres der Aufgestiegenen – als noch genug von uns verblieben und der Name noch von Bedeutung war. Ich hatte die Ehre, drei Jahrhunderte lang an Setakas Seite zu kämpfen. Ihre Taten waren legendär, doch ich sehe, dass du nichts von ihr gehört hast.“

„Die Gefallenen geraten in Vergessenheit“, meinte Sivir mit einem Achselzucken.

Nasus ignorierte Sivirs kaltes Desinteresse an seiner verschiedenen Kriegsschwester und fuhr fort: „Ein Heiliger der Wüste sagte ihr eines Tages voraus, dass sie den Tag erleben würde, an dem ein shurimanischer Imperator die ganze Welt beherrschte. Also dachte sie, dass sie unbesiegbar wäre, denn wir hatten die Welt noch lange nicht erobert. Doch am Vorabend des Untergangs von Icathia wurde sie von Monstern niedergestreckt. Ich hielt sie in meinen Armen, als ihr Licht erlosch und sandte sie tief unter den Sanden mit ihrer Waffe auf der Brust in den ewigen Schlummer.“

„Wenn du hier bist, um sie dir wiederzuholen, haben wir ein kleines Problem.“

Nasus fiel auf ein Knie und kreuzte die Arme über seiner Brust.

„Du stammst von den Aufgestiegenen ab. Die Waffe ist für dich bestimmt, denn das Blut der Imperatoren fließt durch deine Adern. Es hat Azir und Shurima wiedererweckt, und das muss etwas zu bedeuten haben.“

„Nein, das tut es nicht“, sagte Sivir gereizt. „Ich habe Azir nicht darum gebeten, mich zurückzubringen. Ich schulde ihm nichts. Ich will nichts mit dir oder Xerath zu tun haben.“

„Was du willst, spielt keine Rolle“, meinte Nasus nur. „Xerath wird dich töten, ganz egal, ob du deine Bestimmung annimmst oder nicht. Er ist hierher gekommen, um die Blutlinie von Azir endgültig zu durchbrechen.“

„Was will Azir von ihr?“, meldete sich Taliyah zu Wort. „Und was hat er vor, jetzt, da er zurück ist? Will er uns wieder zu Sklaven machen?“

„Sie stellt eine Menge Fragen“, kommentierte Sivir.

Nasus zögerte, bevor er antwortete.

„Ich kenne Azirs Pläne nicht. Mir ist es genug, wenn er sich gegen Xerath stellt. Nun könnt ihr dem Magier entweder den bahren Nacken hinhalten, oder am Leben bleiben und ihm in der Zukunft entgegentreten.“

Sivir hob ihre Tunika an und entblößte grinsend ihren blutgetränkten Verband. „Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie irgendjemandem etwas hingehalten. Aber ich habe nicht vor, in nächster Zeit gegen etwas Bedrohlicheres als Schlaf zu kämpfen.“

„Du musst am Leben bleiben“, sagte Nasus und richtete sich zu seiner vollen Größe auf. „Und du musst bereit sein.“

„Wofür?“, fragte Sivir, während sie mit Taliyah ihre Habseligkeiten zusammensuchte.

„Die Schlacht um Shurima“, erwiderte Nasus. „Aber heute müssen wir fliehen. Xeraths Krieger töten alles und jeden in Vekaura.“

„Was ist so besonders an diesem Ort?“, fragte Taliyah und schulterte ihren Rucksack.

„Sie suchen nach ihr“, meinte Nasus.

Sivirs Gesicht verhärtete sich und sie atmete schwer aus, bevor sie sagte: „Nasus, hm? Ich habe schon als kleines Mädchen Geschichten über dich gehört. Geschichten von Kriegen und heldenhaften Schlachten. All die Legenden besagen, dass du und dein Bruder die Beschützer Shurimas waren, richtig?“

„Das entspricht der Wahrheit“, sagte Nasus. „Renekton und ich haben Jahrhunderte lang für Shurima gekämpft.“

Sivir tat einen zögerlichen Schritt auf ihn zu, in ihrem Gesicht zeichnete sich die gleiche kaiserliche Entschlossenheit ab wie in Azirs eigenem an dem Tage, als er der Priesterschaft befahl, die Sonnenscheibe für seinen Aufstieg vorzubereiten und sich über eine Jahrhunderte alte Tradition hinwegsetzte.

„Dann kämpfe jetzt für Shurima“, rief Sivir mit der Autorität eines Imperators. „Die Söhne und Töchter der Wüste sterben da draußen, während wir hier sprechen. Wenn du der Held bist, über den ich mein Leben lang Geschichten gehört habe, dann ist es deine Pflicht, dich auf den Weg zu machen und so viele Leute wie möglich zu retten.“

Nasus hatte nicht erwartet, dass sein Treffen mit Sivir so ausgehen würde, doch ihre Worte über Pflichtbewusstsein entfachten eine Glut, die schon viel zu lange in seiner Brust geschlummert hatte. Er fühlte, wie ihre Flamme ihn erfüllte, und begann zu verstehen, wie verloren er die ganzen langen, einsamen Jahre zwischen Shurimas Untergang und seiner kürzlichen Wiedergeburt gewesen war.

„Ihr habt mein Wort, dass es so sein soll“, nickte Nasus und nahm den Anhänger ab, der an einem ledernen Band um seinen Hals hing. „Wenn ihr beide jetzt flieht, werde ich mein Bestes tun, die Bewohner von Vekaura zu beschützen.“

Der Stein des Anhängers war aus Jade, ozeangrün mit bleichen Goldfasern, die seine Oberfläche durchzogen. Ein schwaches Licht ging von seinem Inneren aus und pulsierte wie ein langsam schlagendes Herz.

Er reichte ihn Sivir und sagte: „Tragt dies bei Euch und es wird Euch vor Xeraths Blick schützen. Es wird nicht für immer vorhalten, doch vielleicht lange genug.“

„Lange genug?“, fragte Sivir.

„Um Euch wiederzufinden“, meinte Nasus und drehte sich um.

Er ließ Sivir und Taliyah zurück, bevor er seine Meinung ändern konnte. Ihre Überlebenschancen waren größer, wenn er die Aufmerksamkeit von Xeraths Kriegern auf sich lenkte. Sie sahen ihm hinterher, doch er drehte sich nicht um. Im Stadtzentrum brannten Flammen und Nasus folgte den Schreien der Bewohner von Vekaura.

Seine Wut staute sich immer mehr, als er an den Leichen von Männern und Frauen vorbeikam, die die metzelnden Krieger niedergestreckt hatten – noch mehr Tote für die Rechnung, die er mit Xerath zu begleichen hatte. Nasus ließ seine Schultern kreisen, um seine Muskeln zu lockern. Das letzte Mal, als er sich dem Magier gestellt hatte, war sein Bruder an seiner Seite gewesen, und Furcht überkam ihn.

Wir konnten ihn zusammen nicht aufhalten. Wie soll ich das alleine schaffen?

Nasus erblickte eine Gruppe von fünf Kriegern, die den Ausgang des Platzes blockierten. Sie standen mit dem Rücken zu ihm, doch drehten sich um, als sie das Geräusch seiner Axt vernahmen. Er hätte eigentlich ihren Schrecken darüber spüren sollen, dass sie einem aufgestiegenen Krieger gegenübertraten, doch in ihren Augen brannte das blaue Feuer von Xeraths Willen und sie fürchteten nichts und niemanden.

Sie stürzten sich mit blutigen Schwertern und Speeren auf ihn. Nasus stellte sich ihrem Ansturm entgegen, schwang seine Klinge tief am Boden entlang und teilte drei von ihnen entzwei. Er stieß seine Faust durch die Brust eines weiteren und seine Kiefer umschlossen den bloßen Kopf des letzten Mannes. Nasus biss zu und der Schädel des Kriegers platzte auf. Er spuckte die widerwärtige Gehirnmasse und Knochensplitter aus, und eilte weiter.

Er betrat den Platz und sah, dass die klägliche Schar, die von den Bewohnern der Stadt übrig geblieben war, vor dem Sonnentempel kniete. Schwerter waren auf sie gerichtet und sie hatten die Köpfe gebeugt wie eingeschüchterte Betende. Gruppen blutverschmierter Krieger rissen ihre Speere nach oben, dem hellen und schrecklichen Gott zu, der auf der Spitze des Tempels brannte.

Die flammende Gestalt des verräterischen Magiers hing in der Luft, während die Ränder der Sonnenscheibe unter dem Hochofen seines aufgestiegenen Körpers schmolzen. Der Oberpriester wand sich schreiend in der Luft vor ihm.

„Ihr Sterblichen seid Narren“, verhöhnte ihn Xerath, als er ihm das Fleisch von den Knochen abzog. „Warum behauptet ihr, der Blutlinie eines Imperators anzugehören, der so wertlos ist wie Azir?“

„XERATH!“, schrie Nasus und seine Stimme hallte auf dem Platz wieder.

Die sterblichen Krieger drehten sich zu ihm um, doch keiner machte Anstalten, anzugreifen. Stille legte sich über den Platz und Nasus konnte den Hass spüren, den Xerath ausstrahlte und der über ihn wusch wie die steigende Flut. In einem Wimpernschlag waren die Überreste des Körpers des Oberpriesters zu Asche verbrannt, die von der heißen Luft, die um den Magier wirbelte, davongetragen wurde. Nasus marschierte mit seiner Axt eng an seiner Seite unter den wachsamen Blicken aller Anwesenden auf den Platz.

„Natürlich, du bist das“, begrüßte ihn Xerath mit zuckersüßer Stimme, genau wie zu der Zeit, als er noch als Sterblicher auf der Erde wandelte. „Wer sonst als der Feigling, der mich Jahrtausende lang in den Tiefen unter der Welt eingesperrt hat?“

„Und da kommst du auch wieder hin“, versprach Nasus.

Xerath flackerte auf. „Damals kam dir dein geliebter Bruder zu Hilfe. Sag mir, hast du Renekton gesehen, seit er aus unserem gemeinsamen Kerker entkommen ist?“

„Wage es nicht, seinen Namen auszusprechen“, knurre Nasus.

„Hast du gesehen, was aus ihm geworden ist?“

Nasus sagte nichts und Xerath stieß ein Lachen aus, das klang wie heftig streitende Feuergeister.

„Natürlich nicht“, fuhr Xerath fort und das gefangene Feuer seines Wesens pulsierte vor dunklem Vergnügen. „Er hätte dich auf der Stelle getötet.“

Xerath schwebte die bröckelnden Tempelmauern herab und Flammen züngelten an seinen Gliedern, bevor sie wie Glühwürmchen davonstoben. Die Soldaten unter seiner Kontrolle standen still wie Statuen. Diese Auseinandersetzung war nicht für Sterbliche gedacht.

„Die Macht in dir war für Azir bestimmt“, sagte Nasus und ging langsamen Schrittes auf Xerath zu. „Du wurdest nicht von der Sonne auserwählt.“

„Das wurde Renekton auch nicht, und doch wurde er emporgehoben.“

„Du sollst seinen Namen nicht in den Munden nehmen“, stieß Nasus zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Dein Bruder war schwach, doch das wusstest du bereits, nicht wahr?“, spottete Xerath und glitt näher. „Er ließ sich leichter brechen als ich erwartet hatte. Ich musste ihm nur eintrichtern, dass du ihn in der Dunkelheit zurückgelassen hattest. Dass du ihn mit seinem Feind eingesperrt und zum Sterben zurückgelassen hattest.“

Nasus wusste, dass der Magier ihn aus der Fassung bringen wollte, doch sein blinder Hass ließ ihn an nichts anderes denken, als die Ketten zu zerschlagen, die die unvorstellbare Macht von Xeraths Körper im Zaum hielten. Sie traten sich im Zentrum der Stadt gegenüber, zwei aufgestiegene Wesen, die aus der Zeit gefallen waren: ein Kriegerkönig und ein Zauberer aus lebendiger Magie.

Nasus griff zuerst an. Innerhalb weniger Herzschläge beschleunigte er seinen regungslosen Körper auf eine unglaubliche Geschwindigkeit. Seine Beine katapultierten ihn in die Luft, während er seine Axt über den Kopf nach unten schwang. Die Klinge kollidierte mit Xeraths Brust. Kettenglieder zersprangen bei dem Aufprall.

Xerath wurde an die Tempelmauern zurückgeschleudert. Der Stein zerbrach und aus dem Grab tief darunter drangen Staubwolken durch die gezackten Risse. Große Steinpaneele stürzten von dem Gebäude herab. Der Magier warf sich nach vorne und sandte sengende Energiestrahlen aus seinen knisternden Gliedern. Nasus heulte auf, als Xeraths Feuer ihn verbrannte, und sie trafen mit unbändiger Gewalt aufeinander.

Eine Schockwelle aus magischer Energie ging von ihnen aus und wirbelte Leute davon wie Blätter in einem Wirbelsturm. Nahestehende Gebäude brachen zusammen, als die seismische Kraft ihre Mauern bersten ließ. Vekauras Bewohner ergriffen die Flucht und versuchten sich vor den kämpfenden Göttern der alten Tage in Sicherheit zu bringen. Xerath hatte die Kontrolle über seine Krieger verloren, die sich nun zerstreuten und in die Randgebiete der Stadt flüchteten. Flammen schlugen empor, als Xerath arkanes Feuer aus seinem Innersten hervorrief und ohne Rücksicht auf Verluste entfesselte.

Nasus rollte auf die Seite, als eine Reihe funkelnder Kometen herabkrachte. Ihr Feuer war kalt, doch brannte es nichtsdestotrotz. Er kam gerade rechtzeitig auf die Füße, um eine Salve sirrender Kugeln aus weißem Licht mit der Klinge seiner Axt abzuwehren. Xerath schwebte in der Luft über ihm und lachte, während sich um ihn herum gleißende Blitze gabelten. Nasus zeigte mit der Klinge der Axt auf den Magier und schickte ihm einen Stoß verdorrende Energie. Xerath brüllte vor Schmerz und Wut auf und das Feuer in seinem Herzen flackerte, doch es wurde nicht schwächer.  

Nasus sprang auf Xerath zu. Sie rangen in der Luft und krachten dann erneut in den Sonnentempel. Der Aufprall ließ die äußere Mauer nachgeben und riesige Steinblöcke stürzten von oben herab. Sie krachten herunter wie die Fäuste der alten Grabwächter, verursachten Risse in der Erde und legten die schattigen Krypten des Tempels frei. Die Überreste der Sonnenscheibe fielen vom Dach und purzelten nach unten, als hätte ein Riese eine Münze geworfen. Sie zersprang, als sie am Boden aufkam, und sandte funkelnde Metallsplitter in alle Richtungen. Einer davon grub sich tief in das Fleisch von Nasus’ Oberschenkel. Er riss ihn heraus und glänzendes Blut lief sein Bein hinunter.

Xerath erhob sich aus dem Schutt des geborstenen Steins und ein sengendes Geschoss aus bleichem Feuer traf Nasus in die Brust. Er ächzte und stolperte vorwärts. Xerath entfesselte einen weiteren Strahl aus schimmernder magischer Energie und dieses Mal traf er Nasus’ Herz. Der Schmerz war allumfassend und er fiel zu Boden. Seine Haut fühlte sich versengt und rau an. Nasus konnte eine Armee aus Sterblichen im Alleingang bezwingen, doch Xerath war kein gewöhnlicher Gegner. Er war ein Aufgestiegener, der die gestohlenen Kräfte der Sonne und die Macht dunkler Magie einsetzte.

Er hob den Kopf und sah die Stadt um sie herum in Flammen stehen. „Der, den du suchst, ist nicht hier. Er ist vor deinen Blicken verborgen.“

„Der Letzte von Azirs Brut kann sich nicht auf ewig verstecken“, rief Xerath. „Ich werde ihn finden und dieser wertlosen Blutlinie ein für alle Mal ein Ende bereiten.“

Nasus hielt seine Axt hoch und der Juwel in ihrer Klinge gab knisternde Energiestrahlen ab.

„Eher sterbe ich, bevor ich das zulasse.“

„Wie du möchtest“, höhnte Xerath und holte immer weiter mit den Armen aus, um in hohem Bogen schimmernde Geschosse zu schleudern. Nasus tat, was er konnte, doch war es unmöglich, sie alle aufzuhalten.

Xerath glitt auf ihn zu und sagte: „Ich habe deinem Bruder immer und immer wieder die Geschichte deines Verrats eingeflüstert, und wie du deine Eifersucht vor ihm verborgen gehalten hast. Er hat deinen Namen verflucht und ihm liefen Tränen über die Wangen, als er mir beschrieb, wie er dir die Gliedmaßen ausreißen würde.“

Nasus brüllte auf und sprang auf die Füße. Eine vulkanische Feuersäule brach unter Xerath empor und der Magier röhrte auf, als das helle Feuer der vielen Sonnen ihn umschlang.

Doch es war nicht genug. Es würde niemals genug sein. Als sie das letzte Mal gekämpft hatten, waren Nasus und Renekton auf der Höhe ihrer Kräfte gewesen. Jetzt war Nasus ein Schatten seines früheren Selbst und Xeraths Macht über die Jahrhunderte angewachsen.

Der Magier tat seinen letzten, verzweifelten Angriff ab und Nasus war am Ende seiner Kräfte. Xeraths Magie hob ihn auf, schwang ihn herum und schleuderte ihn in die bröckelnden Ruinen des Tempels. Steine zersplitterten um ihn herum und er fühlte, wie seine von Sonnenlicht durchdrungenen Knochen wie Reisig entzweibrachen.

Nasus rutschte mitten in das Geröll, seine Beine waren gebrochen und unter ihm verdreht. Sein linker Arm war von der Schulter bis zum Handgelenk gesplittert und hing nutzlos an seiner Seite herunter. Er versuchte sich mit seinem gesunden Arm aufzurichten, doch ein glühender Schmerz durchzuckte ihn, wo sein Rückgrat gebrochen war. Sein Körper konnte diese Wunden mit der Zeit heilen, doch er hatte keine Zeit mehr.

„Wie tief du gefallen bist, Nasus“, sinnierte Xerath, als er auf ihn zu schwebte und Brocken flüssigen Feuers von seinen Fingerspitzen tropften wie Schlacke. „Ich hätte Mitleid mit dir, wenn ich dich nicht so sehr hassen würde für das, was du mir angetan hast. Dein Geist ist in den langen Jahren, in denen du alleine diese Bürde mit dir herumgeschleppt hast, zerbrochen.“

„Lieber bin ich gebrochen und trage diese Bürde, als ein Schwurbrecher zu sein“, hustete Nasus und spuckte Blut. „Selbst mit deinen neuen Kräften bist du nur ein Verräter und Sklave.“

Er konnte Xeraths Zorn fühlen und ergötzte sich daran. Das war alles, was ihm noch blieb.

„Ich bin kein Sklave“, polterte Xerath. „Azir hat mir im letzten Augenblick die Freiheit geschenkt.“

Nasus war sprachlos. Xerath war ein freier Mann? Es ergab keinen Sinn …

„Dann wozu das alles? Warum hast du Azir verraten?“

„Azir war ein Narr und sein Geschenk kam zu spät“, erwiderte Xerath.

Nasus ächzte vor Schmerz. Die gesplitterten Knochen in seiner Schulter rieben aneinander, als sie sich erneut zusammenfügten. Er spürte, dass die Kraft in seinen Arm zurückkehrte, doch ließ er ihn weiterhin schlaff und nutzlos aussehen.

„Was wirst du tun, wenn ich tot bin?“, fragte Nasus. Er erinnerte sich daran, wie sehr es Xerath geliebt hatte, seine eigene Stimme zu hören. „Was wird aus Shurima werden, wenn du sein Imperator bist?“

Er versuchte, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen, während sein verwandeltes Fleisch in seinem Körper Wunder bewirkte und den Schaden ungeschehen machte, den Xerath ihm zugefügt hatte.

Der Magier schüttelte den Kopf und schwebte außer Reichweite.

„Denkst du etwa, ich kann nicht sehen, dass sich dein Körper erneuert?“, fragte er.

„Dann komme hier herunter und kämpfe mit mir!“, schrie Nasus.

„Ich habe mir deinen Tod Tausende Male vorgestellt“, erwiderte Xerath und erhob sich weit über den ausgehöhlten Tempel. „Doch niemals durch meine Hand.“

Nasus sah dem Magier hinterher, wie er davonschwebte, während die Mauern des Tempels ohne Stütze ächzten und krachten, sich neigten und kurz vor dem Einsturz standen.

„Der Schlächter des Sandes wird seine Rache bekommen“, verkündete Xerath und er schien heller, als es die Sonnenscheibe je getan hatte. Steine und Staub fielen von oben herab. „Ich werde da sein, wenn er dir das Fleisch von den Knochen reißt.“

Der Magier schleuderte Ketten aus weißem Feuer gegen die bröckelnden Mauern und fuhr fort: „Doch bis dahin werde ich dich unter dem Sand begraben, wie du es einst mit mir getan hast.“

Xerath leuchtete gleißend hell auf wie ein neugeborener Stern und riss seine feurigen Ketten nach innen. Ein donnernder Regen aus geborstenen Steinen kam in einer Lawine auf Nasus nieder, als sich mörderisches Feuer vom Himmel über Vekaura ergoss.

Es schien, als würde der Boden auseinanderbrechen, der Fels unter Nasus drehte und erhob sich, um der Kaskade in einem ohrenbetäubenden Tsunami aus flüssigem Stein entgegenzukommen. Die Wände des Tempels stürzten ein und begruben Nasus unter dem enormen Gewicht von Schutt und Geröll.

Licht im Dunkel.

Ein dünner, gleißend heller Streifen. Sonnenlicht?

Zuerst war er sich nicht sicher, ob es real war oder nur ein Trick des Geistes, der dem Körper das Sterben angenehmer machen sollte.

Fühlt sich so der Tod für einen Aufgestiegenen an?

Nein. Dies war nicht der Tod. Das Sonnenlicht fiel über sein Gesicht und er spürte ihre Wärme auf der Haut. Er verlagerte sein Gewicht, streckte die Beine aus und kreiste seine Schultern. Seine Glieder waren erneuert, also musste er eine ganze Weile lang in der Dunkelheit zugebracht haben. Sein Körper heilte schnell, doch er hatte keine Ahnung, wie lange er bewusstlos gewesen war.

Ganz egal wie lange, es war zu lange gewesen.

Xerath war frei und stärker als je zuvor.

Nasus streckte seinen Arm aus und erkannte, dass der Stein über ihm eine perfekte Kuppel formte. Seine verwirbelte Unterseite war spiegelglatt und fühlte sich warm an. Sogar im Halbdunkel konnte er sehen, dass die Oberfläche Spiralmuster bildete wie halbgemischte Farbe auf der Palette eines Künstlers. Er schlug mit der Faust immer wieder gegen den Lichtschimmer, bis der Stein letztendlich nachgab und in Brocken herabfiel, die durch enorme Hitze zu Glas geschmolzen waren. Licht flutete über Nasus und er sah, dass der gesamte Tempel nun nicht viel mehr war als ein chaotischer Haufen zerborstener Blöcke. Er beugte sich herab, um einen Splitter der zerbrochenen Kuppel aufzuheben, die ihn geschützt hatte. Er drehte ihn um und sah, dass sich allerlei Materialien vermischt hatten, die in einem gewöhnlichen Stein nichts zu suchen hatten.

Mit dem dolchartigen Splitter in seiner Tunika ließ Nasus den zerschmetterten Sonnentempel hinter sich. Er überblickte die Ruinen, während ein klagender Wind seufzte und das Gemurmel der Toten mit sich brachte.

Die Stadt war nicht mehr, oder zumindest, was die Bewohner auf ihren Überresten errichtet hatten. Nasus sah, dass viele der Felsen sich nach oben gekrümmt hatten und die gleiche verwirbelte Struktur aufwiesen wie die Kuppel, die sein Leben gerettet hatte. Die Kanten der Oberflächen wölbten sich wie eine erstarrte Flutwelle, die mitten im Sprung gefroren war.

Und unter dieser Welle kam eine Handvoll von Vekauras Bewohnern hervor, die dort vor Xeraths tödlichem Feuer Schutz gefunden hatte. Sie traten erst einzeln und in Paaren, dann in kleinen Grüppchen hervor und blinzelten im Sonnenlicht. Sie hatten wie durch ein Wunder überlebt.

Nasus nickte kaum merklich und flüsterte: „Shurima dankt dir, Taliyah“, als er sich umdrehte und die Stadt verließ.

Der Rest von Vekaura war wieder die trostlose Hülle, die Nasus von seinem letzten Besuch her kannte. Eingestürzte Mauern, zerstörte Fundamente und Säulenstümpfe, die wie tote Bäume in einem versteinerten Wald standen. Er hatte solche Ruinen schon einmal gesehen, nach dem ersten Kampf gegen Xerath, als Shurima gefallen war. Damals hatte ihn seine Schuld dazu gebracht, sich von der Welt abzuwenden. Doch nicht heute.

Xerath hatte von Renekton gesprochen wie von einer blutrünstigen Bestie, doch Nasus kannte seinen Bruder besser, als Xerath es je hatte. Er konnte nur die Bestie sehen, zu der Renekton geworden war, doch er vergaß den edlen Krieger in seinem Inneren. Den Mann, der sich selbstlos für das Leben seines Bruders geopfert hatte. Der Krieger, der willentlich alles aufgegeben hatte, um seine Heimat vor einem Verräter zu schützen. Xerath hatte all dies vergessen, doch Nasus tat das nicht.

Wenn Renekton am Leben war, musste ein Teil von ihm sich noch an den Helden erinnern, der er einst gewesen war. Wenn Nasus an diesen Teil seines Bruders appellieren konnte, konnte er ihn vielleicht von seinem Wahnsinn befreien. Nasus hatte lange geglaubt, dass er eines Tages Renekton gegenübertreten würde, doch bis jetzt hatte er sich immer vorgestellt, dass diese Begegnung einen von ihnen das Leben kosten würde.

Jetzt wusste er es besser. Er hatte wieder einen Sinn im Leben. Die Blutlinie von Azir hatte überdauert, also gab es noch Hoffnung.

„Ich brauche dich, Renekton“, sagte er. „Ich kann Xerath nicht ohne dich töten.“

Vor ihm rief die Wüste seinen Namen.

Hinter ihm beanspruchte der Sand Vekaura wieder für sich.

Trivia[]

  • Blutlinie dient als zweites großes Event, um Shurima in den neuen Kanon wieder einzuführen.
  • Es wurde enthüllt, dass Sivirs Sivirs Bumerang-Klinge Chalicar Chalicar heißt. Sie wurde einst von Setaka getragen, der ersten Kriegerkönigin des Heeres der Aufgestiegenen; sie kämpfte einst Seite an Seite mit Nasus Nasus und fiel durch die Hand der Leerengeborenen.
  • Orte wie Bel'zhun, Nerimazeth, Kenethet und Vekaura werden in dieser Geschichte erwähnt.
    • Vekaura wurde mittlerweile komplett von Xerath Xerath zerstört.

Referenzen[]

Geschichte und Ereignisse
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